Samstag, 26. Mai 2012

Stolperstein Ackerstrasse


„Stolperstein“ auf der Ackerstrasse in Düsseldorf.


Die Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig erinnern an die Opfer des Nationalsozialismus. Vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort werden die kleinen Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg eingelassen. Sand im Getriebe des Vergessens. Mahnung für tägliche, alltägliche Verantwortung. Zu Recht begleiten uns die 10x10 Zentimeter kleinen Tafeln auf Schritt und Tritt. 
Ein Freund legte mir vor einigen Tagen das oben gezeigte Bild in die Dropbox. 
Kommentieren kann man das Photo schlecht. Den Photographen beschlich ganz offenbar ein unheimliches Gefühl beim Betrachten des „Stolpersteins“, der jetzt, von besonders angeordneten Steinen eingegrenzt, sehr unangebracht, das Abbild eines Hakenkreuzes liefert. Oder ist das nur eine Projektion? Eine kaum zu benennende Anmutung? Ein lokaler Flurschaden? Kann das Bild Fragen stellen, z.B. über Leichtfertigkeit oder Nachlässigkeit? Lenkt es den Blick auf eine doppelzüngige Komplexität von Bildern? Muss ich Herrn Demnig einen Brief schreiben? Oder sehen wir vielleicht doch eine stilisierte Rose ...? 




( ©Photo: Axel Wowereit, Düsseldorf, 5.2012 )

Mittwoch, 9. Mai 2012

Kunsthaus Kannen, Robert Burda, Art Brut

Robert Burda: Art Brut im Kunsthaus Kannen
     Kunst kann immer im Zuge der Arbeit entstehen, die man aus einer besonderen geistigen Eigenart und Sicht heraus entwickelt. Jeder Versuch einer begrifflichen Trennung, bezogen auf Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung und solcher von sogenannten Gesunden, ist leicht als phobisch zu identifizieren und daher grundsätzlich überflüssig. Diese Art von Abgrenzung stellt sich dar, zumindest je länger man lebt und Augen und Ohren gelegentlich offenhält, höchstens als eine beidseitig durchlässige Membran, als Ansammlung wechselseitiger Empfindungsoptionen. Die Grenzziehungen werden augenscheinlich und vermutlich ein bisschen zwanghaft von denjenigen gesucht, denen eine unklare geistige Beschaffenheit des Menschen nicht wenig Furcht einflößt.

     Wer Lust hat etwas über Kunst zu lernen und sie in einer seltenen Vollständigkeit erleben möchte, kann dies im Kunsthaus Kannen unweit von Münster tun. Sie werden sehen: dort zu sein ist ein wenig wie „nach-Hause-kommen“. Die von der Brüdergemeinschaft der Alexianer betriebene Psychiatrie in Münster betreut Menschen mit geistigen Behinderungen oder seelischen und psychischen  Erkrankungen. Das Kunsthaus liegt zwischen den offenen Gebäudekomplexen des Geländes und umfasst Ausstellungsraum, Shop und Atelier. Das Atelier, in dem künstlerische und kunsttherapeutische Arbeit wie selbstverständlich miteinander verbunden wird, ist nicht nur architektonisch integriert – durch die gläserne Offenheit der Situation ist es praktisch ein Teil des Ausstellungsraums – oder wahlweise umgekehrt.

     Am letzten Wochenende waren dort hellsichtig zu nennende Papierarbeiten des Art-Brut Künstlers Robert Burda zu sehen. Er schafft es, mit feinem Farb- oder schwerem Filzstiftauftrag eine sehr klare und mit einer gewissen Distanziertheit beobachtete Welt wiederzugeben, die er mit warmer Emotionalität und sehr persönlicher Verortung zu beeindruckenden, zwischen Technik und Kontemplation liegenden Bildern, verquickt.

     Parallel dazu wird eine Ausstellung angehender Kunsttherapeuten der Münchner Kunstakademie gezeigt, die sich in vielfältiger Weise mit Ihrer eigenen Arbeit und dem besonderen künstlerischen Klima im Umkreis des Kunsthaus Kannen auseinandergesetzt haben. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir dabei eine prozessuale Gestaltungserklärung der Künstlerin Franziska Haider. Durch eine starke Ritualisierung ihrer eigenen Zeichenmethode, macht Sie einen Schritt der Annäherung auf die im Atelier des Alexianer Kunsthauses arbeitenden Patienten und ihre fragile Methodik zu, ohne den Nimbus von Anbiederung oder Über-Theoretisierung. Herausgekommen ist, neben ihren vielfältigen menschlichen Kontakten vor Ort, ein Kunstprojekt, das in seiner gelungenen Ästhetik den Spagat zwischen der Annäherung an den innovativen Kosmos, der, oft als fremd empfundenen künstlerischen Erscheinungsformen von Patienten mit gesitiger oder seelischer Behinderung, einer kunsttherapeutischen Recherche und dem direkten Bezug zu aktueller Kunst, spielerisch herzustellen vermag.

    Es ist wohl die erlebte Vollständigkeit, sichtbar zwischen den gezeigten Arbeiten, dem Kunsthaus, den Gemeinschaftswohnhäusern, dem Atelier, den Künstlern und den Patienten/Bewohnern vor Ort, die den Besuch im Kunsthaus Kannen zu einem menschlichen Erlebnis werden lässt. Denn der Mensch steht hier im Mittelpunkt des Geschehens: ein ausnehmend plausibler Maßstab für Künstler und für Betrachter.
Unbedingt empfehlenswert.



Kunsthaus Kannen
Alexianerweg 9
48163 Münster
www.kunsthaus-kannen.de

Donnerstag, 19. April 2012

Søren Grammel wirkt im Kölnischen Kunstverein

Warum schreibt Saim Demircan, was verbindet Benjamin Hirte?

































Der neue Leiter des Kölnischen Kunstvereins, Søren Grammel, hat seine erste Ausstellung "A wavy line is drawn across the middle of the original plans" genannt. Eine tendenziell programmatisch wirkende Überschrift, die eine unklare Situation in einen Status erhebt. Nicht schlecht. Man ist geneigt, zumindest vor sich selbst, zu klären, was die oben angesprochenen, originären Pläne denn gewesen sein könnten.

Die schöne Einführungsrede von Grammel erreicht die Zuhörer auf der Treppe im renovierten Foyer des Kunstvereins. Da man praktisch unten in einem Treppenhaus steht, entspricht dieser Ort einer situativen Initiation: man muss auf jeden Fall einen Aufstieg überwinden, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Der Kurator spricht sympathisch und überzeugend von seiner inneren, gespannten Hinwendung zu den diffizilen Räumen an der Kölner Hahnestraße und seinem Verhältnis zum Kölnischen Kunstverein, das ihm bei der ersten und aktuellen Ausstellungsumsetzung, die er „Bespielung“ nennt, die Hand geführt hat.
Ebenso gibt er selten gehörte Hinweise, daß er sich vom Betrachter eine Herangehensweise über die kontrastierende Wirkung und die Materialität der ausgestellten Werke wünscht.

Die ausgewählten Künstler und Arbeiten soll die Darstellung eines Minimalismus* einen, dem sie, in transzendenzloser Anschauung* die pure Physikalität* des Werks gegenüberstellen. Das die Quelle der Werke ein Baukasten sei, aus dem Normalität konstruiert wird*, ist demgegenüber als Aussage und als Satz eher eine persönliche Einschätzung und gäbe Anlass zu Diskussionen über systematisierende Lebensanschauungen. Alle Arbeiten sollen ohne die im Museums- und Ausstellungsbetrieb üblichen Sockel und Präsentationsmodi auskommen. Eine Idee Grammels, die zu einem geschlossenen Bild einer räumlich zusammenhängenden Installation führen soll.
Diese Intention ist zwar nicht neu, aber heute immer noch mutig genug. Sie verweist auf den Diskurs, die Nähe zum Künstler und den Glauben an eine eigenständige, aktive Kraft der künstlerischen Produktion und ihrer Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Realität.
Betritt man den unteren, beinahe rundum verglasten Raum der Ausstellung, so drängt sich der Eindruck auf, das ein einziger Künstler für alle Werke verantwortlich ist – so sehr ist die ästhetisierende Verbindung zwischen den Arbeiten tatsächlich geschehen. Allerdings ist der Preis dafür sehr hoch, die klare Handschrift die hier den Raum beschreibt, ist offensichtlich die des Kurators, möglicherweise zuungunsten der gezeigten Künstler. Sie scheinen zu eher marginalen, etwas kraftlos empfundenen Spielsteinen des kuratierenden Ensembles zusammengeschmolzen zu sein: 


Material ist natürlich zu finden, jedoch keine starke Materialität. Das angeführte „sublime“ stellt sich nicht wirklich ein, weder im Sinne des erhaben Vollendeten noch im Sinne des Subtilen oder Unglaublichen. Die kuratorischen Direktiven sind ausgesprochen aktuell, sie finden jedoch kaum Entsprechung in der gezeigten Ausstellungswirklichkeit. Dass der Betrachter gefordert wird ist immer gut. Daß man jedoch von keiner Arbeit angefasst oder in den Bann gezogen wird, könnte eine kleine Schwäche sich selbst speisender Intellektualität sein.
Der englische Ausspruch: „There is only one step from the sublime to the ridiculous.“, dürfte am Eröffnungsabend gelegentlich Gehör gefunden haben. Die Suche nach der Wahrnehmung und die Verortung von Wirklichkeit können sich nicht beinahe ausschließlich in theoretischen Bezugsebenen verfangen. Sie brauchen, wenn man gestalterisch-künstlerische Zusammenhänge in einer Kunstpräsentation bemüht, eine Form, eine Sprache die berührt,  bewegt, zerstört oder verhindert. So werden Türen für eine lebendige Auseinandersetzung geöffnet. Der Abend im Kunstverein hatte Ansätze von Anschauungsunterricht, ja, von das Leben egalisierender akademischer Recherche. Ist dort die aktuelle Kunst zu finden? Man wird sehen.
Mit seinen, die Normierungen des Kunstbetriebs überwindenden, Postulaten darf Søren Grammel in seiner Funktion beim Kölnischen Kunstverein durchaus auch bei der Kunst viel mutiger ausholen. Er darf den Künstlern mehr räumliche Konzentration zugestehen, ohne Gefahr zu laufen, seine Intentionen zu verschenken. Es ist sicherlich eine der schwierigen Aufgaben jedes Ausstellungsmachers die Balance zwischen den gezeigten Formulierungen der Künstler und der eigenen präsentablen Vision auszutarieren. 
Ich freu' mich also jetzt schon auf Teil II.

(*=Dem kuratierenden Text Søren Grammels entnommen)

A wavy line is drawn across the middle of the original plans“
Kölnischer Kunstverein 19.4. – 10.06.2012

Mittwoch, 4. April 2012

Entrüstung. Gesagt. Getan. Günter Grass.


Interessant: ein Gedicht bringt Sie zum Vorschein, die vorschnellen Kommentare und die Helden des ewigen politischen Kalküls: Schnelldenker wie Herrmann Gröhe und Ruprecht Polenz sind schon mal entsetzt, Dieter Graumann und Reinhold Robbe empfinden ein kontroverses öffentliches Nachdenken in Gedichtform, persönlich diffamierend, gleich als überflüssig und eitel.
Dass der Vorwurf des Antisemitismus – in diesem Fall zu leichtfertig – auftaucht, hat Grass in seinem Text vorausgesehen. In der Tat war das nicht schwer und vermutlich erwünscht. Dieser Weg wird gelegentlich beschritten, will man umfangreiches öffentliches Interesse erregen. Was gelungen scheint.

Gut ist: eine künstlerische, eine lyrische Form mit politischem Inhalt löst ein Gespräch aus, über das der deutsche Staat allen Grund hat nachzudenken und zu dem er sich öffentlich längst hätte äußern sollen. In welcher Form macht Deutschland sich an militärischen Erstschlägen ohne jegliches Einverständnis der Vereinten Nationen mitschuldig? Das Land der Dichter und Denker ist bereits wieder drittgrößter Waffenexporteur der Welt ... aber wer ist jetzt wessen Richter? Und warum ist es so schwer darüber zu sprechen?

Einfache Fragen?
Könnte das Atomprogramm des Irans nicht auch dem geschichtlich nachweisbaren Verlangen nach Energiesicherheit geschuldet sein, das durch die geo-politisch isolierte Lage des Landes entsteht? Wer entscheidet zudem darüber welches Land sich mit Atomstrom versorgen darf und welches nicht? Ist mit dem Atomprogramm tatsächlich eine Atombombe gekoppelt, die Israel vernichten wird? Gab es die Atomraketen des Irak eigentlich?
Wie sehen oder sahen schlüssige Maßnahmen der Weltgemeinschaft in einem solchen Fall aus? Aus welchem Grund könnte ein Staat über den Entscheidungen der internationalen Staatengemeinschaft stehen?
Welche überholt geglaubte oder neue gefährliche Rolle spielt Deutschland in diesem System von aktuellen Machtinteressen?

Diese einfachen Fragen stellen zu dürfen, sollte Teil der Verantwortung sein, die jeder Deutsche mit der eigenen Geschichte verbinden kann und die er der Welt schuldig ist.


Günter Grass' Verdienst mit diesem Gedicht könnte es sein, die Sicht zurück auf den einzelnen Menschen zu lenken, der tatsächlich unter militärischen Einsätzen zu leiden hat, egal woher er stammt. Grass tut dies, in dem er eine Perspektive bezieht, die man als persönlich verantwortlich verstehen darf, jenseits des politisch-nationalen Kalküls. Damit ist sie auf eine nicht blasierte Art international. Sie ist auf keinen Fall antisemitisch.
Zudem bestärkt der Schriftsteller die Forderung, das es friedliche Lösungen nur mit dem Einverständnis und den definerten Idealen einer Weltgemeinschaft geben kann. Das ist fast ein Allgemeinplatz – jedoch zweifellos richtig.
Freies Denken darf weder an den Grenzen irgendeiner Ideologie stehen bleiben, noch darf es Ängste in Scheinargumente umfunktionieren.Wenn sich ein Künstler darüber wundern will dann darf er das unter allen Umständen. Er darf auch dafür eine Form finden.
Wer einen denkenden Künstler und politisch handelnden Menschen wie Günter Grass zu einem Antisemiten abstempelt, muss sich dem Vorwurf stellen, reaktionären, wenn nicht gar kolonialistisch orientierten westlichen Denkmodellen verhaftet zu sein. Zu meinem großen Bedauern reiht sich Henryk M. Broder in diese fatale Gruppe ein.

Im Jahr 2012 könnte man in der Lage sein, selbst als Europäer, sehr viel weiter über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Sich, wie Grass, als Künstler mit seiner politischen Meinung von einer breiten Öffentlichkeit in Frage stellen zu lassen, ist kein unwichtiger Schritt auf dem Weg Kunst und Künstler in ihrer Rolle neu zu hinterfragen.


Carsten Reinhold Schulz
Aus dem Projekt „Der Künstler als Kritiker“ 2012 




Im folgenden der Wortlaut des Gedichtes "Was gesagt werden muss" von Günter Grass in voller Länge. Das Gedicht erschien in der "Süddeutschen Zeitung", der "New York Times" und "La Repubblica":
(Quelle: Süddeutsche Zeitung)




Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.


Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.


Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?


Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er missachtet wird;
das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.


Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.


Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.


Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.


Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.


Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.

Montag, 19. März 2012

DAS ZWEITE FELD: „Die Zeit, der Menschenfresser“



 

Üblicherweise schreibe ich in der derzeit angenommenen Rolle als Kritiker. Hier bearbeite ich diese Funktion mit einer Lesung aus 2008 in einem spontan dazu hergetellten Film. (Film und Sound 2012)

Lyrik on Film. Vortrag. Lese-Pop. Lesung. Text, Musik, Film, Performance © Carsten Reinhold Schulz
für DAS ZWEITE FELD, Düsseldorf 2008/’12

Montag, 20. Februar 2012

Gerhard Richter: Gerhard Richter im nebulösen Opportunismus?

Drei Matrosen: Easy-Richter-Fake, von DAS ZWEITE FELD, 2012


















In kritikfernen Zeiten, selbst in einem Kunst-Projekt wie diesem, den künstlerischen Status Gerhard Richters anzuzweifeln, kann in Deutschland bedeuten, sich für geschätzte tausend Jahre ins soziale Abseits zu schießen. So lange könnte es womöglich dauern, bis der gesellschaftliche Gleichschritt namens Richter als Kunst neu hinterfragt werden darf. Dabei ist es mehr als simpel in einer Art und Weise Stellung zu beziehen, in der man nicht gezwungen ist mit den Wölfen zu heulen. Schaut man wertneutral auf die Arbeiten Richters, lässt sich, in der Abfolge der entstandenen Arbeiten, der richtigen Selbsteinschätzung des Künstlers gemäß ( ... ich mag alles, was keinen Stil hat), der Weg einer immer größer werdenden Reduktion verfolgen. Die handwerkliche Ausführung ist notwendigerweise perfektionistisch, akribisch, möglicherweise auch zwanghaft. Die angesprochene Reduktion zielt jedoch nicht auf eine größere Klarheit ab, sondern auf größere allgemeine Zustimmungsfähigkeit – die jeweiligen Sujets sind am temporären Zeitgeschmack angedockt – eine Grundidee der sogenannten Pop-Art. Was im Rückblick wie ein logische, künstlerisch motivierte Kette erscheint, ist eine nur leicht verfremdete Wiedergabe von früh als historisch erkennbar gewordener Geschehnisse. Ist das Ausgangsmaterial zumeist ein Foto, anfänglich gerne ein Zeitungsbild, demzufolge ein kulturell bereits gefiltertes Zeitzeugnis, oder eine uns alle verbindende, scheinprivatisierende Ästhetik der Erinnerungsfotografie, bewegt sich die jeweils gewählte Kunst-Methodik Richters später auf eine vollständig reine, praktisch entfleckte Ästhetik zu, die sich in der Allgemeingültigkeit auflösen muss. Das bedeutet nicht notwendigerweise das Erscheinen von sinnvollen Inhalten. In Wirklichkeit würden sie sogar schaden.

Leere Ikonen und populäre Methoden heutiger Politik
Die entstandenen Bilder werden mit den gleichen populären Methoden als inhaltsleere Ikonen in unsere Welt vermittelt, wie sich die heutigen Sachverwalter unserer Politik, ohne Vision und ohne Risiko gesellschaftliche Bewegung zunutze machen. Symbolisch gesehen heißt das: man setzt auf Pferde, die bereits gewonnen haben. Wenn der ehemalige Leiter des Kölner Wallraf-Richartz-Museums Caspar König schreibt, das Richter einen mutigen oder politischen Akt durch seine RAF Bilder hergestellt hätte, so entspricht diese Einschätzung kaum den Tatsachen. Wohl aber dem gefühlten Wunsch der Kuratoren so etwas erreichen zu wollen. Die angesprochenen Bilder überzeugen zumindest durch die schiere Möglichkeit eines sentimental-persönlichen Blicks. Die meist kritiklose Spiegelung vorgegebener gesellschaftlicher Events ist zwar als Pop-Art in die Geschichte eingegangen, hat sich aber heutzutage vollständig überlebt. Tatsächlich wird immer deutlicher, dass die sogenannten Pop-Artisten seit langem als Stützen einer politisch fragwürdigen, weil zerstörerischen Weltsicht fungieren. Dies muss sich auch Gerhard Richter sagen lassen. Der schwindelerregende Konsens des Kunstmarktes müsste dem Menschen Richter und auch dem Intellektuellen allerdings Alarmzeichen genug sein. Die Generation der Kunstverwalter und Künstler, die ihre eigene Adoleszenz, gekoppelt mit der Zeit der 1960er und 1970er Jahre als einzigartig revolutionär empfindet und sie nicht als eine Periode kreativer Verstörung erkennt – sie können die Riesenschritte der letzten Zeit und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen mit der menschlichen Realität nicht mehr nachvollziehen. Eine gar revolutionäre Gesellschaftskritik, die angeblich von Kunstformen, wie der an der Pop-Art orientierten Gerhard Richters, ausgehen soll, lässt sich heute nur auf dem Umweg komplizierter Bezugsebenen herauslesen. Sie ist mittlerweile kaum mehr als ein emblematisch wirkendes Konstrukt in der Rückschau.

Was haben Merkel und Richter gemeinsam?
Visionär ist Gerhard Richter damit vor allem als Vorwegnahme Merkelscher Regierungsmethodik: erstmal nix sagen, um später zu machen was die Umfrageergebnisse bringen. Somit ist nebulöser Opportunismus eine perfekte Liaison mit der merkantil ausgerichteten Vorstellung von aktueller Kunst eingegangen.
Allerdings eine Liaison-dangereuse. Man kann nur hoffen, dass diese gefährliche Verbindung der politischen Vereinnahmung nur eine medial verkürzte Darstellung der Kunst ist. Denn glücklicherweise ist die Arbeit heutiger Gestalter viel breiter gefächert, als sie in der Öffentlichkeit erscheint. Viele sind endlich wieder bereit sich mit einer eigenen Meinung den gesellschaftlichen Aufforderungen zu stellen. Sie flüchten sich nicht mehr in, eigentlich zynisch zu nennende, distanzierende Ästhetiken.
Zu selten sieht man eine Begutachtung derjenigen Kräfte, die dazu führen, daß ein spezieller Künstler einen festen Platz im Olymp erhält. Bei Gerhard Richter fällt auf, das er sich bestens dazu eignet, alle kulturellen Projektionen zuzulassen. Somit ist seine beständige Weigerung sich zu eigenen Arbeiten zu äußern – simpel genug – keine intellektuelle Haltung, sondern dem offensichtlichem Willen geschuldet, niemanden zu verprellen.
Seine brutalste Leistung ist vermutlich, ein schlicht kontemplativ inspiriertes, auch buddhistisch oder muslimisch interpretierbares Buntglasfenster im Kölner Dom installieren zu lassen. Aber selbst da ist ihm eine breite Zustimmung, wegen der allgemeinen Abkehr von Ideen der Kirche, ziemlich sicher. Da muss ein kritischer Kardinal nicht als Diskussionspartner, sondern als nörgelnder, realitätsferner Reaktionär erscheinen. Vermutlich hat er jedoch nur eins und eins zusammengezählt ...  Eine Vision, eine künstlerische oder gar religiöse Perspektive fehlt eindeutig bei dem Kölner Fensterbild. Da darf man dem eigenen Unwohlsein durchaus vertrauen. Die lang erprobten Methoden der Kirche und die Größenverhältnisse des Kirchenraums helfen offenbar den Menschen dabei, sich dennoch ergriffen zu fühlen. Hier hat die zweitausendjährige manipulative Erfahrung der Kirche dem Künstler geholfen und ihn möglicherweise ewig gemacht, nicht umgekehrt. Ein schlichter markttechnischer Trick, allerdings erhält die Kirche am Spiel nur eine Gewinnchance (auf dem Feld des Kirchen-Tourismus), wenn sie spätestens jetzt ebenfalls ins Horn des Künster bläst.

Richter markiert das endgültige Ende der Pop-Art
Die dem Künstler Gerhard Richter attestierte Größe und der finanziell nachprüfbare Konsens der mächtigsten internationalen Kunstsammler, markiert zu seinem achtzigsten Geburtstag in allerorten stattfindenen Ausstellungen selbst seiner Materialsammlungen, nun allerdings vor allem das überfällige Ende der Epoche der Pop-Art in einer letzten großen Regung. Die als bürgernah verkaufte Kunstform der Pop-Art konnte nur durch politischen Willen, Menschen wie den geschickt agierenden Richter, sein Kunstmarkt-affines Umfeld und seinen scheinbar unangreifbaren europäischen Sonderweg so lange überleben. Es wird sich noch zeigen, daß diese Kunst entleert, entmenschlicht, missbraucht ist. Es wird Zeit für neue Felder in der Kunst und sie haben alle mit menschlicher Verantwortung zu tun.

Text aus dem Projekt: „Der Künstler als Kritiker“, Carsten Reinhold Schulz , 2012

Montag, 16. Januar 2012

Künstler in der Rolle des Kritikers

Kunst lebt heute ausschliesslich durch das Spiel in
experimentellen Feldern (Fotografie oben: „Zoning“,
Carsten Reinhold Schulz 2009, Adhesive tape on ping-pong tables
in open space, part of the installation, Daun / Eifel)








































Gesucht: bildende Künstler in der Rolle des Kritikers

Es wäre toll, wenn möglichst viele Künstler und Kunstgruppen
im In- oder Ausland von diesem Projekt erfahren, um daran teilnehmen
zu können.
Von September 2009 bis Januar 2012 hatte ich selbst meine Rolle als
Künstler mit der eines Kritikersgetauscht.

Nun möchte ich in der zweiten Projekt-Phase alle professionell
arbeitenden nationalen und internationalen Künstler aufrufen,
ihre Rolle ebenfalls kurzfristig zu tauschen und eigene Kritiken
zu Ausstellungen, zur Kunstentwicklung, zu Kunstmessen oder
anderen kulturell relevanten Themen zu verfassen.
Diese werden im Blog und später in einem Buch/Hörbuch
- mit Ihrem Namen und dem Tätigkeitsfeld - für den Buchhandel
veröffentlicht.


Wie macht man mit?
Einfach eine maximal DIN A 4 lange Kunstkritik einsenden.
Wahlweise ein selbstgemachtes Foto von sich oder oder dem Thema
anhängen und an den Blog senden unter folgender e-mail Adresse:

mail@carstenreinholdschulz.de

Wir freuen uns auf viele Einsendungen.


Diese Aktion schliesst an die von der Goethe-Zentrale und etlicher ihrer Institute
unterstützte CULTURWERT:SAMMLUNG von 1994 zur Funktion des Künstlers an.
Dankeschön für ersten Support: Frau Petra Gieler, BBK NRW, Herr Reinhard Hennig, BBK Köln

Montag, 19. Dezember 2011

Keine Angst, ich bin nur Deutscher ...

 



„Keine Angst, ich bin nur Deutscher ...“, 2011
 DAS ZWEITE FELD  |  Songs from Zonderland


Danke an: alex, axel, brigit, brita, christiane, dagmar, eva, franklin, gabi, hakan, petra h., janet, joel, josé, karin, katja, Kristiane, lis, lulu, maria, markus, joey, olaf, patrick, peter, petra a., rainer, rosa, silja, steffi, walter, zoey.

© Carsten Reinhold Schulz, Düsseldorf-Flingern, 2009

Montag, 12. Dezember 2011

Alle Ziele: Kuznetcowa/Edisherov in Viersen

Alle Ziele: Kuznetcowa und Edisherov in Viersen







































Mit einer denkwürdigen Ausstellung schließt das diesjährige Kunst-Stipendium der Stadt Viersen. Unter dem etwas holprigen Namen Kunstgenerator und mit symphatischer Unterstützung der örtlichen Energieversorger wird es regelmäßig vergeben. Wo Firmensponsoring bei großstädtischen Museumsprojekten wie eine vorwitzige Okkupation aller guten Ziele wirkt, kann man das beim Kunstauftritt kleinerer Kommunen als sinnvoll akzeptieren: vor allem wenn, wie in diesem Fall, tatsächlich Mut und Größe gezeigt wird. Die Viersener 2011er Stipendiatin Katherina Kutznetcowa hat nach ihrer Meisterschülerschaft in Münster zurecht bereits verschiedene Stipendien und Preise erhalten, u.a. der Cité des Beaux Arts in Paris. Auch die spektakuläre Gestaltung des Wewerka-Pavillons oder des Kunstvereins Recklinghausen sind in bleibender Erinnerung. Die Ausstellung in der Viersener Städtischen Galerie im Park ist, wie so oft, mit ihrem Kunstpartner und Ehemann Alexander Edisherov erarbeitet und umgesetzt worden. Die beiden vereint neben der Parterschaft eine bestechend klare künstlerische Haltung.
Taghell
In den unteren Räumen der Galerie (siehe Bild oben) ist beeindruckend nachzuvollziehen, wie man eine taghelle Raumsituation mit scheinbar einfachen Mitteln vielschichtig öffnet, indem man etwas verschliesst. Das scheinbare Verstellen des Durchgangs löst dabei Begrifflichkeiten genauso auf, wie es neue Situationen herstellt, die mit Spiegelung oder räumlichem Gleichgewicht zu tun haben. Ein trennendes Element, das eine erneuerte Verbindung erst möglich macht. Dieser Tisch ist nicht nur ein architektonisches Angebot oder Symbol für ein Gespräch, sondern auch eine glänzende Plattform für Perspektive und Duplizität. Ein guter Ausgangspunkt, um den Umgang der Künstler mit der, ein Residenz-Stipendium vergebenden Stadt, genaueren Blicken zu unterziehen. Kuznetcowa und Edisherov sind in der Lage, durch ihren traumwandlerisch sicheren Umgang mit reduzierten, gesellschaftlich als einfach definierten Materialien, auf jede künstlerische Herausforderung überzeugend zu reagieren.
Flüchtig-aktiv
Das zeigt sich deutlich, teilweise dramatischer, ebenfalls in den oberen Räumen der Galerie.
Hat man als Betrachter im unteren Ausstellungsbereich eher das Gefühl formaler Beobachter zu sein, ist man durch die Dunkelheit bereits innerhalb der Arbeit, man ist schneller ein Teil von ihr, durch die gespiegelte Projektion sogar ein flüchtig- aktiver Teil. Es wandelt sich diese Installation mit Spiegel, Projektor und Obstkisten, die offensichtliche Trennung des Raums wiederum zur Öffnung desselben in verschiedene, teilweise poetische Schichten und Abbildungen.
 Die zusätzlich gezeigten Fotoarbeiten machen Bezüge zu Viersen deutlich oder bezeugen Aktionen im öffentlichen Raum der Stadt.

Der schön gemachte Katalog läßt glücklicherweise umfassende Einsichten in die bisherigen Arbeiten des Künstlerpaars zu. Eine solche kuratorische Betreuung ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich und ist daher besonders hervorzuheben.
Eine lohnenswerte Ausstellung. Hingehen.

Katerina Kuznetcowa | Alexander Edisherov
Vom 11.12.2011-22.01.2012
Städtische Galerie im Park
Viersen


Text und Image © Carsten Reinhold Schulz, 12.2011

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Chto Delat, Kunsthalle Baden-Baden, eine Überraschung.

Künstler, Kritiker, Philosophen und Schriftsteller in einer Gruppe.






































Das Plakat zur Ausstellung
macht so gar keine Lust in die Baden-Badener Kunsthalle hinein zu gehen. Die sub-line „Das Lehrstück vom Un-Einverständnis“ macht den Wunsch nach Kunst ebenfalls nicht wirklich drängender. Aber natürlich bin ich dennoch die Treppen hinaufgestiegen, habe eine Eintrittskarte für die Kunsthalle gekauft und eine Zusatzkarte für die Besichtigung der Anselm Kiefer Bilder im angrenzenden Burda-Museum mit Vehemenz abgelehnt. Das Café im Foyer war voll, die Ausstellungsräume leer, bereits das hat mir gut gefallen. Ich habe es später als Zeichen gewertet, das alle Café-Besucher tatsächlich an ihren Tischen gesessen haben könnten, um über die Ausstellung zu diskutieren. Ich hoffe stets.

Chto Delat bedeutet „Was tun?"
und ist zudem programmatischer Name einer in Russland zu verortenden Gruppe, die aus Künstlern, Kritikern, Philosophen und Schriftstellern besteht. Eine Verbindung die geradezu grossartig ist und die – mehr als aktuell – einen Weg gefunden zu haben scheint, menschliche und politische Erfordernisse mit vereinten Kräften in reflektierende und schöne Bilder, Sprache und Musik umsetzbar zu machen. Hier wird für mich eine Idee sichtbar, die als gesellschaftlich relevante Kunst Massstäbe setzen kann. Hier ist politische Kunst zu sehen und zu bestaunen, die diesen Namen tatsächlich und endlich verdient.

Solidarität und Kunst
Die Themen und Umsetzungen sind nicht nur mutig, weil sie im Zusammenhang mit einem Land stehen, das für seine unmenschliche Radikalität im Umgang mit Andersdekenden hinlänglich bekannt ist, sondern weil die Menschen um Chto Delat endlich den Begriff der Kunst in einem solidarischen Sinne begreifen wollen. Die Gruppe integriert in allem Tun eine, nicht nur von mir, lange geforderte Verantwortlichkeit und verwandelt sie in ästhetische Antworten, neue Diskussionsansätze und tatsächliche Schönheit.
Wenn einige der ausgestellten Objekte, wie zum Beispiel die Fahnen, zu Anfangs ein wenig gestrig anmuten, sieht man sich durch die nahezu perfekte Ausstellungskoordination und die Wahl der Materialien mit einfachen Mitteln in ein sinnvolles Ganzes versetzt.

Eine schöne Erfahrung.
Für mich ist die Ausstellung eine grosse, wunderbare Überraschung, die Mut macht.
Sie weist in Ihrer Komplexität weit über die im Ausstellungs-Flyer angedeuteten Reflektionen mit der russischen Geschichte oder dem Marxismus hinaus.
In Baden-Baden ist eine Chance für die Kunst des 21. Jahrhunderts zu sehen.
Auf jeden Fall hingehen.
Sehr empfehlenswert.

„Chto Delat“, bis 12.02.2012
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
Lichtenthaler Allee 8 A
76530 Baden-Baden

Text und Image © crschulz, 12.2011

Mittwoch, 23. November 2011

Am Mahnmal der unbekannten Freiwilligen: Vorlesefest 2011

Lesen mit Hut und schönem Licht. (Foto © Carsten Reinhold Schulz, 2010)






































Ein Vorlese-Fest ist phantastisch. Ich habe bestimmt nichts daran auszusetzen. Erfunden wurde es, um Lust aufs Lesen zu machen und damit diejenigen zu erreichen und in möglichst große Bildungsnähe zu rücken, die ansonsten keine solche Förderung erhalten können. Dieser Ansatz wird umgesetzt durch ehrenamtliche Vorlese-Paten, die in Kindergärten, Schulen, Kindertagesstätten oder Büchereien zumeist Kindern vorlesen sollen. Solch ein Pate wollte ich gern werden. Beim Vorlesetag 2011 in Düsseldorf.
Da meine eigenen Kinder in der Pubertät sind und mittlerweile eher selten nach ihrem Vater als Vorleser rufen, habe ich mich entschlossen einem Zeitungsaufruf der „www.leseban.de“ zu folgen. Eine Kindertagesstätte in Düsseldorf-Bilk wurde mir zugewiesen, der Kontakt angebahnt, eine Zeit ausgemacht. Die stellvertretende Kitaleitung empfahl das Vorlesen von Märchen, die ich mir selbst aussuchen sollte und nach einigen Fotokopien und Lesetests in meinem Büro, bezüglich der Dauer des Lesens, war ich bereit in zwei Kinder-Gruppen zu lesen. Jeweils eine halbe Stunde vor Kindern, die bekanntlich eine der schwierigsten, aber auch dankbarsten Zuhörergruppen darstellen.
Die erste Gruppe war schlichtweg eine Katastrophe, plötzlich auftauchende, gefühlt Zweijährige, frisch mit Adrenalin aus dem Gymnastikraum versorgt,  sangen und riefen und spielten, alle ruhigen Kinder hatten keine Chance zuzuhören, meine hilflosen pädagogischen Versuche unterbrachen eigentlich nur das Lesen selbst und zerstörten die Konzentrationsversuche der sechs bis sieben Kinder, die sich auf das Vorlesen gefreut hatten. Keine Fachkräfte in Sicht – sie waren vermutlich froh durch den Vorleser mal ein bisschen Ruhe geniessen zu können.
Mein durchaus engagiertes Vorlesen (ich habe ein wenig professionelle Erfahrung darin) mußte ich nach zwanzig Minuten leider abbrechen. Ich konnte mich selbst nicht mehr verstehen. Vielleicht war zusätzlich der Text zu lang oder Andersen Märchen gehen gar nicht. Die Zuhörer-Kinder waren von den Lärm-Kindern entnervt, schrien und balgten sich aus Frust, ließen die kleinen Fäuste sprechen. Die erste Gruppe war insgesamt deprimierend.
Die zweite Gruppe, eine Etage weiter oben, war das genaue Gegenteil dieser Erfahrung. Keines der Kinder hier hatte Salzsäure gegessen, nein, sie saßen entspannt im Kreis und hörten sich mein Scheeweisschen und Rosenrot bis zum glänzenden Ende an. Einige lachten sich schlapp, als ich dem besonders bösartigen Zwerg eine verzerrte Stimme lieh und alle zeigten die verständliche Genugtuung über den Ausgang der Verwunschenheit. Das zu sehen hat logischerweise Freude gemacht. Es ist ein schönes Geschenk.
Im Gespräch mit der sehr netten KiTa Leitung stellte sich später heraus, daß sowieso eine Vorleserin regelmäßig die Einrichtung besucht und eigentlich kein Engpass an Leseaktionen zu verzeichnen war. Ich dachte eigentlich, Kinder denen kaum vorgelesen wird, erhalten durch den Vorlesetag einen neuen oder gar ersten Zugang zu passender Lektüre? Weit gefehlt. Das Programmheft wies zumeist offenbar prominente Vorleser und die Präsentation ihrer eigenen Bücher aus, die üblichen Schriftsteller des Umkreises hatten ihr Forum, die Büchereien auch und der türkische Konsul ließ es sich nicht nehmen etwas für den Nachwuchs vorzulesen. Das sieht politisch sogar besser aus, als Kinder auf den Arm zu nehmen. Die nette Frau Grimmepreis Westermann von WDR „Zimmer frei“ las aus ihren Büchern vor, die städtische Unternehmerschaft hatte als Initiatorin des Vorlesefestes dazu, zu eindringlichen bis eigentümlichen Selbstdarstellungen lokaler Autoren und zu spätem Fingerfood ins Hotel Maritim geladen. Alles wirkte wunderbar vertraut. Was habe ich medial später noch vom Lesefest gehört? Ein Werbebüro aus Frankfurt, oder war es Stuttgart, konnte eine von seinem Büro entwickelte Lesebox im Rathaus installieren, um damit für sich und – natürlich – die Kinderförderung und das Lesefest zu werben. Der Hinweis auf die Serienreife der Box fehlte meines Wissens nicht. Tue Gutes und lass davon sprechen. Das ist überall Usus. Daran ist wohl nichts auszusetzen.
Als Lesender hätte ich gerne einige Erfahrungen ausgetauscht mit anderen Vorlesepaten.
Eine Liste dieser ehrenamtlichen Hundertschaften ist auf der Homepage des Lesefestes nicht zu finden. Ein Hinweis auch nicht.
Nicht schlimm. Aber ein wenig mehr Stil würde mir persönlich Freude machen.
Immerhin geht es um Literatur ...


Carsten Reinhold Schulz
„Der Künstler als Kritiker

Donnerstag, 3. November 2011

Kultur und Terrorismusbekämpfung: ein Schadensfall.
























  


Aus kulturell interessierter Sicht gibt es gute Gründe, auf die schleichend anmutende Einengung der vom Grundgesetz als unantastbar klassifizierten Begriffe der freien Meinungsäußerung näher einzugehen. Die im Internet vielfach anzutreffenden, eher zweifelhaften Elaborate zum soeben erneuerten Terror-Bekämpfungs-Ergänzungs-Gesetz, z.B. in Diskussionsforen rechter Nationalisten wie auch in denen linker Verschwörungstheoretiker, sollten nicht davon abhalten, die Stimme als Demokrat kritisch zu erheben.
Gegen ein Klima beginnender Angst
Die Vorstellung, das weitgehend unkontrolliert, bisher strikt von der Exekutive getrennte Geheimdienste durch neue Befugnisse Möglichkeiten einer Geheimpolizei erhalten könnten, dürfte für Bürger ebenso beunruhigend sein, wie es für den Freiburger Staatsrechtler Ralf Poscher der ominöse Begriff des „Aufstachelns“ ist. Im Regierungsentwurf soll es durch diese Wortfindung möglich sein, kritische journalistische Äußerungen, wie es das einfache Befürworten einer Sitzblockade in einem Artikel oder Blog sein könnte, zu erfassen und damit faktisch zu kriminalisieren. Selbst wenn sich vorerst keine direkten Strafen ergeben, schaffen solche Formen der Kontrolle ein beginnendes Klima der Angst. Wer das Rückgrat der meisten Menschen einmal aus eigener Anschauung heraus kennengelernt hat, dem dürfte klar sein, welche rigiden Formen gesellschaftlicher Selbstkontrolle mit Angst zu erreichen sind.
Da kann es niemanden beruhigen, dass die Regierung einen weisen Umgang mit dem Gesetz anmahnt. 
Es gibt keine harmlose Unterdrückung
Gerade für Deutsche dürften die 1933 plakatierten Thesen zur infamen „Sammlung des zersetzenden Schrifttums“, anklingen. Dort stand geschrieben, heute eigentlich undenkbar: „Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter.“ Sollte in Zukunft das positive Bewerten von Sitzblockaden wieder ein verräterischer Akt gegen Deutschland sein? Vergleiche wie diese können verdeutlichen, wie dünn die Grenze zur Kulturlosigkeit ist. Wie wir alle wissen könnten, waren die Folgen der Thesen nicht nur das Schweigen freier Kunst, sondern eine Flut kulturschaffender Exilanten und der Horror rechter Nazihorden. 
Sobald man beginnt Kontrolle über die Denk-, Meinungs- oder Anschauungsprozesse von Menschen erhalten zu wollen, beginnt der Prozess der Unterdrückung, ja, der versuchten Unterwerfung. Dass heutzutage in demokratische Findungsprozesse eingebundene, harmlos wirkende Veränderungsabsichten als Salamitaktik daherkommen, kann nicht mehr wundern. Genau für diese Technik der Verschleierung haben japanische Behörden, die sich bis heute alle Mühe geben den Skandal von Fukushima zu vertuschen, einen internationalen Preis für herausragende öffentliche Berichterstattung erhalten ...  
Solidarität gegen Kulturlosigkeit
Einer Äquivalenz folgend, wird man bei den im erweiterten TBE-Gesetz angedeuteten Aushöhlungen von Grundrechten, an die notstandsähnlichen Zustände während der innerdeutschen Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren erinnert. Sie führte zu kräftiger Aufrüstung in den Waffenarsenalen der Polizeikräfte und den Organen der inneren Sicherheit. Dieses, damals vom Terrorismus gewünschte Verhalten des Staates, wurde mit seiner Entlarvung als militaristischem Unrechtsstaat gleichgesetzt: ein Teufelskreis entstand. Der Effekt tritt seit geraumer Zeit praktisch deckungsgleich im „Nach-Nine-Eleven“ Zeitalter ein.
Jedes, die ­­Grundrechte einschränkende Gesetz, spielt demnach den Falken im Staat, den Extremisten und Kulturlosen in die Hände. Gesetze nämlich, zur Verhinderung von Straftaten gegen Demokratien, sind selbstverständlich notwendig. Das kann von niemandem bestritten werden, der den fünften Artikel des Grundgesetzes jemals gelesen hat. Das Recht der freien Lehre gerät auch dort an Grenzen, wo sie den Boden des Verfassungsmäßigen verlässt.
Sobald Regierungen jedoch beginnen, Grundrechte in Abrede zu stellen, um mit solchem Reglement angeblich die Freiheiten der Demokratie zu schützen, ist nicht nur starke Vorsicht geboten: dann ist bereits die Solidarität der Menschen gefordert. Eine menschliche Solidarität, die sich gegen Anfänge sich durchsetzender Kulturlosigkeit wehren kann. 
Zwischen Reaktion und kultureller Bewegung
Politik setzt die erschaffenen Maßstäbe der menschlichen Freiheiten, Rechte und Pflichten formal ein und garantiert sie. Sie darf auf keinen Fall, demokratische Auseinandersetzungen oder Entwicklungen gegen die Demokratie selbst richten. Das nannte man früher wie heute reaktionär. Damit steht sie Entwicklungen der Zukunft und der Kultur feindlich gegenüber. Es deutet zudem auf ein eingetretenes Verständnisproblem bei Volk und Regierung hin, die damit begonnen zu haben scheint, sich als Machtapparat vom Souverän zu entfernen. Zugesicherte Menschenrechte und Freiheiten, wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst, werden mit den erneut vorgelegten und erweiterten Gesetzen zur Terrorbekämpfung und den entsprechenden gesetzlichen Begleittexten, durch eine undurchsichtig bis teildemokratisch agierende Bundesregierung in Frage gestellt. So sind jene bereits erwähnten, die Gesetzesverlängerung begleitenden kryptischen Äußerungen zum Thema „Aufstacheln“ gegen den Staat bestimmt nicht geeignet das Vertrauen in unsere Regierungen zu revitalisieren. Ebenso wenig machen unter den Teppich gekehrte Entdeckungen über das Gremium der sogenannten „Neun“, das offenbar von niemandem legitimierte Entscheidungsbefugnisse besessen hat, wirklich Mut. Auch wenn das Geheimgremium dankenswerterweise soeben vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde. Wer denkt sich so etwas gefährliches aus und kommt damit durch? Damit eine Demokratie funktionieren kann, darf sie – man traut sich kaum es zu sagen – nicht einmal kurzfristig außer Kraft gesetzt werden. An diesem Punkt scheidet uns offenbar die Macht die wir riefen.
Kontrollwahn als Ratlosigkeit der Macht
Die Liste der Länder, die in Zeiten unsicherer politischer Machtverhältnisse, über den Weg der Einschränkung und Manipulation meinungsoffener Kultur, nach neuer Stabilität streben, dürfte lang sein. So zeigen sich derzeit in Ungarn merkwürdige Verflechtungen von nationaler Überheblichkeit und einer ebenso interpretierten Freiheit der Meinung und der Kunst. Aus ähnlichem Holz geschnitzt sind die vor einigen Jahren nachgewiesenen Eingriffe der US Regierung, die gegen Zahlungen von Millionenbeträgen mit redaktionellen Berichten in irakischen Zeitungen die Öffentlichkeit lenken wollten. Wir denken mit Unbehagen an die Verwicklungen der Murdoch-Presse mit dem Regierungsviertel Londons oder die Verheiratung Italiens mit der Presse durch Berlusconi. Angstvoll blickt man nach Russland, wo mutige Journalisten von stillen Kräften nicht nur mundtot gemacht werden. Selbstverständlich zeigen solche Sachverhalte und die überregulierenden Gesetzgebungen eine gewisse Ratlosigkeit der Macht. Sie hat dazu geführt, den Souverän selbst als ein mögliches Problem anzusehen. Dies ist die eigentliche Crux. Nach fünfzig Jahren überbordender deutscher Gesetzgebung für alle Fälle, ist für die neuen Technokraten der Demokratie vermutlich kaum noch vorstellbar, das nur eine Hinwendung zu den Wünschen der Menschen und die unbedingte Durchsetzung einer nachvollziehbaren, offenen Demokratie, Perspektive und Gebot der Stunde sein kann. Auf keinen Fall ist es die weitere Einschränkung der Menschheit durch immer engmaschigere, alle Eventualitäten einschließende Gesetzesvorgaben.
Es muss weiterhin möglich sein, einen Staat, der sich von seinen demokratischen Grundsätzen entfernt, als einen solchen zu bezeichnen.
Das gilt für die Kunst, das gilt für die Presse und für jeden einzelnen Menschen sowieso. Gesellschaftliche, kritische Auseinandersetzungen bleiben demokratische Notwendigkeiten und dürfen nicht einem angstvollen Kontrollwahn geopfert werden. 


Carsten Reinhold Schulz, Düsseldorf
Das zweite Feld der Kunst

Dienstag, 1. November 2011

Internationale Briefe an das zweite Feld: Teil 3

Hola, Tussis. Again the I-write.
Finally dem Flieger aus la Suisse.
Where totally flink mountains?
Städtchen of tiny lights. Tock-tock talk.
Absolut white for no one Gebrauch.
Klasse Versuch der kleines triggerfahrt.
Fun und Lachen überall gemacht gehört.
Kleines land aber no maximum heat.
Sind die Liebes but ohne exciting Aufruhr.
Anything, no Räumung, keine Kraken, show me!
See and mère. Toujours la même.
Allways allem das Diner in time.
Nu hebben we een question of democracy,
null-null dime is no fun und
flitter stolas zijn just petit vegetables.
Like ein fettig Kästchen cucumber.
Das is Youth abzocken die Haut.
Wie snake on the chaussures.
To be: ableben and anleben people!
Die whole sind feel-sorrow adults ohne Schmerz.
Lines over and over and over and out.
Niemand denken an Haare and Griessbags.
Alle Sin beer-craquelage.
Und nobody is listening mehr to Radio-Stadt.
Die dunklen homes zijn verkocht
Heavy verpufft in atmosphere
So als letzte bomb from shelter geht
im Orkus of general time.
Erkenne maintenant die sour
mit alles die Plage heads
because niemand nomore beachtet die Dylan shirts.
Nylon shoes sind die Arms zum kommen.
Be honey! So ist. Couchon the nose AND rump.
Süsses Herz: sonst gut living Blue Bayou?
Encore gaan we gezellig Coffee-shop?
Heavy waiting dafür to see you mit Bird.
Was kommt now, shit?
The light and mantel-sharing Aktion ahead.
Verrückte, crazy Christian-Menschen.
Nix teilen die Energy platforms.
No more we can. More. Tin can.
Tin-can!


Auszug aus:
„Internationale Briefe an das zweite Feld“,
Songs, Texte, Briefe.
© carsten reinhold schulz 01.11.2011 Düsseldorf

Mittwoch, 26. Oktober 2011

Occupy Wall Street, Occupy Düsseldorf: it's 2011

Gebraucht werden u.a.: Kordel, Kisten, Kaffe, Schnüre, Gemüse, Margarine und Feuerlöscher




Occupy Düsseldorf an der Johanneskirche am Tausendfüssler















































Symphatisch: „Echte Demokratie jetzt“ und ein nur lapidar scheinendes „Mitmachen“– so steht es u.a. auf den selbstgemalten Pappschildern und Spruchbändern der Occupy-Düsseldorf Gruppe, die jetzt im Schatten von Tausendfüssler und Johanneskirche ihre Zelte aufgeschlagen hat. Jeden Tag um 19.00 Uhr ist eine Vollversammlung einberufen, an der teilnehmen kann, wer sich für grundlegende Veränderungen in Punkto finanzielles und demokratisches Missmanagement in unserer Gesellschaft interessiert. Mehr noch als Interesse ist natürlich aktives Mitmachen und Unterstützung erwünscht und gefordert. Denn, daß die innige Verflechtung unseres Staats- und Bankensystems nachhaltig negative Folgen zeitigen wird, muss nicht mehr speziell betont werden. Es dürfte im Interesse jeder Bevölkerung sein, von Regierungen geleitet zu werden, die im Sinne der wirklichen Wünsche und Ängste der Menschen handeln und die nicht die ihnen anvertrauten Steuergelder nutzt, um missratene Machtinteressen und rücksichtslose Spekulationsgeschäfte der Finanzwelt auszubügeln.
Wie es auf den Plakaten an der Wand der Johanneskirche zu lesen ist, werden neben der wichtigen öffentlichen Unterstützung  derzeit noch gebraucht: Kordel, Kisten, Kaffe, Schnüre, Gemüse, Margarine und Feuerlöscher.
Hingehen.


Carsten Reinhold Schulz und
Das Zweite Feld der Kunst

Montag, 24. Oktober 2011

„Nie wieder störungsfrei“. Das Ludwig Forum.





































    Es ist ein beeindruckender Titel, den das Aachener Forum Ludwig zu Recht vor sich hertragen darf. Somit zeigt das erste deutsche Museum für aktuelle Kunst zum Abschluss seiner Jubiläumspräsentationen schlüssig seinen eigenen Beginn. Die riesige Sammlung des Sammlerpaars Ludwig ist mit der allerorten gerne beschworenen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre in Aachen eng verbunden und hat dort gerne Ihren Ursprung. Der hochaktuelle, animierende Satz Ludwigs, das Museen stets „ohne Furcht“ agieren sollten, wurde bei der Eröffnungsrede von Stadtdirektor Wolfgang Rombey zitiert und konnte in Zeiten kultureller Ziellosigkeit der öffentlichen Hand ein wenig der alten Hoffnung in die Gesichter der zahlreich anwesenden Gäste und Zeitzeugen zwingen.
Die sehr breit gefasste, beinahe wild gemischte Ausstellung kann schon beim ersten Durchschlendern der Räume mit etlichen interessanten und überzeugenden Einzelarbeiten auffallen. Rosenquist, Ramos, Filliou und Spoerri, irgendwie sind wir ja alle mal Avantgarde.
Die Mischung der Werke zeigt jedoch präziser worum es in der Schau geht, als es das Bild der Einladungskarte mit einem entwaffnend blutenden und zielstrebig blickenden Beuys vermag.
Denn nur der Ausstellungstitel „Nie wieder störungsfrei“ verweist deutlich auf eine kulturelle Zäsur, die in der Kunstentwicklung der vorgestellten Jahre stattgefunden haben soll. Nicht jede einzelne Arbeit lässt sich da zwangsläufig einordnen. Muss ja auch nicht. Vor allem wird eine Sammlung zur Begutachtung freigegeben, die sehr umfangreich ist.

    Störungen, vergangene Revolutionen und ihre Gesten sind nicht ohne Grund mit dem Nimbus des Traurigen behaftet. Dieses intensive Gefühl kann den Betrachter tatsächlich erreichen. Starke Emotionen gehen jedoch von den ausgestellten Arbeiten selbst nicht unbedingt aus –vielleicht muss man dazu dabei gewesen sein. Beinahe putzig-hoffnungsfroh, naiv-bemüht empfindet man jetzt einige der Relikte, Kunstobjekte oder Filme, die vor gut einem halben Jahrhundert noch für wilde Furore gesorgt haben sollen. Die Sammlung verfügt dabei über genügend nützliche Exponate, um den Eindruck des zu theoretischen oder zu Video-lastigen, z.B. durch die Hängung eines enomermen Gemäldes auflockernd malerisch zu flankieren oder durch eine flackernde Jenny Holzer im Monumentalen zu bespielen.
    Es wird gar nicht erst versucht, die alte Stimmung beschwörend wieder herzustellen: der zentrale, etwas abgesenkte große Raum, wirkt wie eine Mischung aus selbstgebauter Art Cologne und stylischer Flughafen-Lounge: eingebettet in weißen, elegant wirkenden Sofa-Inseln schaut man Filme wie Zuhause, in denen sich auf flachen Monitoren Menschen in etwas wälzen, das tatsächlich aussieht wie Kuchen. Flüchtige Bilder süßer, aber vergangener Exzentrik? Dokumente sozialer Umwälzungen oder die beginnende Gleichberechtigung der Geschlechter? Nach persönlichen Gesprächen mit Künstlern aus der Zeit darf man sich nicht sicher sein, ob nicht gerade die -60er und -70er Jahre, für die Unterdrückung der Künstlerinnen durch ihre männlichen Kollegen beispielhafte Zeiten waren.
Der eher neutralen Form des architektonischen Ausstellungskonzeptes widersprechen herumliegende, frisch fotokopierte Exemplare der Kunstzeitung „Gegenverkehr“ aus den 1960er Jahren und die zahlreichen Sitzsäcke. Im besten Fall gefühlsbetonende, zeitbezogene Reminiszenzen: die berüchtigten Design-Zitate.
    Die während der Eröffnung laufende Aktion der Taschenkontrollen mit der Markenklebung „O.K.“ am Revers und das fingierte Registrierungsbüro liefen allerdings der Zeit hinterher. Diese Aktion war ein schönes Beispiel für ein gern fehlinterpretiertes Verständnis von politischer Kunst heute – oder war es die Wiederbelebung einer alten Aktion, oder war es gar Realität? Es macht eigentlich keinen Unterschied.

    So wird das aktuelle Museum zu einem sentimentalen Ort, bei dem man vor allem versteht, das die außerhalb des Musealen sich entwickelnden sozialen und politischen „Happenings“ und Aktionen des 21.Jahrunderts, wie die des „occupy wallstreet“ oder des näher liegenden „occupy Düsseldorf“– trotz des Aufrufs zum Museum ohne Furcht – noch nicht als künstlerische Stimme wahrgenommen werden können. Heute sitzt der junge Aufbruch in kalten Zelten und entwickelt dort neue Formen der sozialen Kraft über selbstgemalte Poster. Draußen begehrt die Jugend auf gegen einen wegwerfenden Finanzbegriff und im Museum feiert man sich und einen fünfzig Jahre alten Aufbruch mit bemerkenswert klein gewordenen menschlichen Utopien. Ist es nicht die Generation der Sechziger die jetzt an den Schalthebeln der Macht und des Kulturapperates sitzt? Wo bleibt die Haltung des Aufbruchs dort? Im Pressetext erwähnte aktuelle Bezüge aus dieser Perspektive sucht man in den angekündigten neueren Arbeiten tatsächlich vergebens.

    Aus rein musealer oder didaktischer Sicht ist „Nie wieder Störungsfrei“ sicherlich eine sehenswerte Leistungsschau. Keine Frage: es gibt viele Arbeiten zu sehen, die richtig Freude machen und nicht nur als Erinnerungsstücke funktionieren können. Beeindruckend: Suzan Pitts Asparagus Theatre. Nice to have you back: die wieder aktive Grand Dame der Aktionskunst Chris Reinecke, die zumindest so mutig war eine neue Arbeit zwischen die alten zu hängen, die tollen wegweisenden Sachen von Peter Brüning, die unglaublich frischen Bilder d’Archangelos
Sieht man ja alles nicht so oft.
Auch nicht den besonders seltsam anmutenden kleinen Raum mit Grafik von Robert Stanley, der erst ab einem Alter von 18 Jahren betreten werden darf. Es war zu erleben, daß einige bunte grafische Umsetzungen von sexuellen Handlungen noch heututage zu einem hektischen Zuziehen der Vorhänge durch das Aufsichtspersonal des Museums führen. Eigenartig in einer Zeit, in der zwölfjährige Kinder Hardcorefilme auf Ihren Mobiltelefonen untereinander tauschen. Ist auch das eine Folge des Aufbruchs der 1960er Jahre?
Das Aachener Forum Ludwig hat eine schöne Schau im eigenen Haus produziert und dazu einen überaus sehenswerten Katalog gestaltet.
Ein gewonnenes Heimspiel.



NIE WIEDER STÖRUNGSFREI
Ludwig Forum Aachen
Aachen Avantgarde seit 1964
22.10.-05.02.2012



text und foto ©crschulz, duesseldorf 2011

Montag, 17. Oktober 2011

Düsseldorfer Friedenspreisträger klagt gegen die Meinungsfreiheit.

Menschen hoffen, Wunder kerzen.




Ein Blog eignet sich wegen seiner vorgegebenen Diskussionsfunktion besonders gut,
um ein öffentliches und interaktives, kritisches Medium zu sein: jedem Leser steht eine Kommentarfunktion permanent zur Verfügung. Der Düsseldorfer Friedenspreisträger von 2007, Herr Hubert Ostendorf scheint den massiven Klageweg gegen das Kunst- und Blogprojekt „Der Künstler als Kritiker“ und gegen den Blogger persönlich als Form der Auseinandersetzung zu bevorzugen. Zumindest ist, wegen angeblicher Beleidigungen innerhalb eines konstruktiv-kritischen Artikels, eine mehrseitige Klageandrohung und Schrift seines Anwalts in der Redaktion dieses Blogs eingegangen, die mit einer fünfstellig angesetzten Schadenssumme und hohen zusätzlichen Anwaltskosten versucht, eine kritische Stimme über zweifelhafte Methoden der öffentlichen Kunstvermittlung der Galerie- und Obdachlosen-Organisation fifty-fifty mundtot zu machen. Es zeigt sich darin eine Form der Auseinandersetzung, die man nicht von Menschen erwartet, die im Allgemeinen die eigenen Ziele und Ansichten stets auf der richtigen Seite der Güte verorten.

Aggressiver Schlag gegen ein Kunstprojekt

Tatsächlich soll hier nicht nur die jounalistische Freiheit und damit die Meinungsfreiheit mit dem Holzhammer finanziellen Drucks zertrümmert werden. Allemal ist es auch ein aggressiver Schlag gegen ein dokumentiertes Kunstprojekt, das sich seit 2009 mit den Zusammenhängen von Macht und Kunst beschäftigt - ein Angriff also, den man von einem Galeristen, dem der aktuelle Diskurs innerhalb der Kunst nicht fremd sein dürfte, am wenigsten erwartet. Schlimm ist jedoch, dass der Anwalt des Klägers Ostendorf von der Blogredaktion sogar die Herausgabe von Daten und Adressen Dritter (es sind tatsächlich Ihre Namen und Daten, liebe Leser), unter Androhung von Strafen und Gericht, zu erpressen versucht. (Der anwaltliche Brief steht als PDF-Download zur Verfügung: siehe link unten). Dies ist durchaus mit dem Aufruf zu einer Straftat vergleichbar.

Klassische Unterdrückungsmethoden

Das der Galerieleiter einer sozial orientierten Beschäftigung nachgeht, um die Gewinne aus Kunstverkäufen Obdachlosen zugute kommen zu lassen, scheint den Einsatz klassischer Macht- und Unterdrückungsmethoden, wie den Gebrauch starken finanziellen Drucks gegen die Meinungsfreiheit anderer Menschen, offenbar nicht zu verhindern. Das sich bei einem solch rigiden, antidemokratischen Vorgehen überhaupt anwaltliche Hilfe, durch den Düsseldorfer RA Rainer F., finden lässt, überrascht vollends.
Es gilt: an der in diesem Blog vom 16. September 2011 geposteten Kritik und gestellten Frage ist jetzt mehr denn je festzuhalten: wie weit haben sich Teile der Leitung des Obdachlosenprojekts „fifty-fifty“ von Ihrer eigenen sozial-verantwortungsvollen und sinnvollen Idee entfernt?

Die gute Absicht als Grundlage der Rechtsbeugung?

Mit der unreflektierten Reaktion gegen die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst hat
Herr Ostendorf erneut die ursprünglich gute Idee der Organisation um Bruder Matthäus beschädigt und offenbart, dass er sich selbst zubilligt über dem Recht und den Vorstellungen anderer zu stehen oder stehen zu wollen. Das ist überaus bedenklich zu nennen, denn die gute Tat rechtfertigt niemals die Unterdrückung anders Denkender oder gar Formen der Rechtsbeugung. Diese Art gesellschaftlicher Vorstellung berührt die beängstigende Logik der Ideologien, die freien Menschen unter Androhung von Strafen gute und schlechte Anteile zuweisen möchten.
Geforderte Einsicht, Haltung und die Suche nach neuen Formen sozialer Solidarität scheinen dringlicher denn je.
Ansonsten gilt es mit lauter Stimme zu verkünden:
„Es lebe die Kritik. Es lebe die Meinungsfreiheit. Es lebe die Freiheit der Kunst.“

Carsten Reinhold Schulz



Sie können die Klagedrohung hier nachlesen. Bitte klicken.

Freitag, 14. Oktober 2011

Droste Verlag: zweifelhafter Stadtteilführer „Flingern“

Flingern, Kiez, Kunst, Kultur im Droste Verlag

























Der Düsseldorfer Droste Verlag ist dabei, eine Reihe kleinerer Stadtteil-Führer, also Teilansichten der Stadt herauszugeben. Das dürfte alle diejenigen freuen, denen die bisherigen Stadtführer zu wenig spezialisierte Informationen zu bieten hatten und denen Lokalkolorit wichtig ist. Das neueste, 128 Seiten starke Heft handelt vom Stadtteil Flingern. Es ist trotz der vielen Gentrifizierungsdiskussionen der letzten Zeit mit „Kiez, Kunst und Kultur“ untertitelt. Das Buch handelt – etwa zur Hälfte – von der Geschichte Flingerns, mit Beschreibungen zu Stadtgeschichte und Architektur, die bis in die heutige Zeit hineinreichen und Besuchern und Einheimischen kleine Einblicke in Ihre Umgebung geben können. Allerdings lässt sich schon bei den Bildern des Stadtwerke-Parks das Foto eines Pavillons erkennen, das definitiv geschönt wurde oder viele Jahre zurückliegen muss. Mit der aktuellen und ästhetischen Lage vor Ort hat es nichts mehr zu tun.
Auch bei den Auflistungen der aktuellen Szene-Läden und sogenannter In-Treffs im Stadtviertel fehlen viele der wichtigen und prägenden Läden. Es scheint so zu sein, daß die Autorin des Heftes womöglich eine Auswahl getroffen hat, die von anderen Kriterien abhängig gewesen sein könnte, als von halbwegs objektiven. So fehlen die tatsächlichen und sympathischen In-Plätze wie das langjährig in Flingern ansässige „Café Rekord“ – letztes Jahr von einem renommierten Schweizer Verlag zu einem der hundert schönsten Cafés erklärt – ebenso, wie das „Oma Erika“, ein jeden Tag aus gutem Grund übervolles Café (das Bild der Galerie Leuchter wurde sogar aus der Café-Perspektive aufgenommen). Die echten Feinschmecker werden das zentral auf der Ackerstrasse gelegene „Haschi's“ im Buch vermissen, in dem einer der besten Köche Düsseldorfs mit seiner Frau exzellente Crossover Küche anbietet und gelegentlich der Fussballer Raoul oder der Kaberettist Dieter Nuhr vorbeischauen. Ganz zu schweigen, das von ambitionierter französischer Küche inspirierte kleine Restaurant „Chat noir“ auf der Herrmanstrasse. Es fehlt auch das echte Szene Restaurant „Vitale“ oder das super gelegene vegetarische Restaurant „Sattgrün“. Das gleiche gilt für eine echte Tradition: „Die Erbse“ hat Flingeraner Künstler und Musiker schon mit Kaffee und leckerer Küche versorgt, als beinahe alle im Buch aufgelisteten Lokale noch gar nicht da waren. Es ist nicht im Buch. Da wundert es nicht mehr, wenn das andere gute Lokal der gleichen Besitzer ebenfalls nicht im Heft ist. Vergessen worden sein kann es nicht, denn die gleichnamige „Flurklinik“ ist als ehemalige Entbindungsklinik natürlich beschrieben. Christiane Wink, als eine der innovativsten jungen Schmuck-Designerinnen des Viertels fehlt mit Ihrem wunderschönen Laden „Privat“ ebenso wie der unbedingt sehenswerte Flingeraner Anglerladen fünfzig Meter weiter. Auch nicht zu finden: das vom renommierten Designer Axel Wowereit wunderbar klar gestaltete „Noema“ auf der Hoffeldstrasse, einer der Top Adressen der Stadt, wenn es um Haare geht. Unerwähnt bleiben auch die beiden, im Sommer lange Schlangen bildenden Eiscafé des Viertels. Oder der Germany's next Top Model-Friseur „St. Pauli Blond“, der mit seinem großen Laden auf zum Teil spektakuläre Art und Weise versucht, Kultur, Mode, Party und Lifestyle zu verknüpfen – schon beinahe ein Kulturzentrum ... eindeutig ein Hingucker, wichtig fürs Viertel. Alle soeben aufgezählten Orte zählen zu den eindeutig „bildgebenden“ Momenten der Kultur in Flingern. Warum sind gerade diese nicht in einem gerade erschienenen, halbwegs aktuellen Heft? Alle diese Plätze und ihre Menschen verbindet wohl die fehlende oder ausreichend grosse Beteiligung an den gewerblich orientierten Werbe-Aktivitäten der Autorin, Frau H.-Kranz, im Vorfeld.
Da dies ein Blog über Kultur und Kunst ist, will ich auch über die im Heft auftauchenden, für Flingern exemplarisch erscheinenden Künstler sprechen. Ich hege ständige und große menschliche Sympathie zu den sechs beschriebenen Künstlern Herrn Bouchet, Frau Spook, Herrn Wanner-Krause, Frau Dembny (hat übrigens ihr Ackerstrassen-Atelier vor langer Zeit schon aufgegeben), Frau Etienne oder Frau Felicitas Lensing-Hebben. Der Stadtteil ist jedoch voll mit offener orientierten Künstlerateliers, daher muss ich es so deutlich sagen: die im Buch getroffene Auswahl ist, bis auf eine Ausnahme recht provinziell und schadet dem Kunststandort, der über so viele engagierte und professionell arbeitende Künstler verfügt, eher als er nutzt. Hier war die Autorin im besten Fall zu faul zur Recherche.
Das gegen Ende des Buches, auf mehreren Seiten redaktionell eingebunden, die Autorin Ihre eigenen, gewerblichen Aktivitäten zu den Leistungen und Besonderheiten Flingerns dazu zählt, macht den zweiten Teil des Heftes leider nicht angenehmer. Das ist letztlich schade und ruft eigentlich nach einem neuen Stadtteilführer, der mehr quaitative Einblicke vermitteln und tatsächlich aktuell sein könnte.
Der ansonsten seriöse Droste-Verlag muss sich fragen, ob ein solcher Führer professionellen Merkmalen und Ansprüchen genügt.