Donnerstag, 19. Juli 2012

El Greco, die Moderne, Kunstpalast, Düsseldorf

El Greco malte Sankt Martin


El Greco. Wir sind froh, daß wir ihn haben. Den Vielseitigen, den Internationalistischen, den Vorläufer, den von Innen Leuchtenden, den immer mehr Modernen. Den Einzigartigen.
Denn das ist er tatsächlich. Soweit wir wissen.

Wie die Kuratoren der Ausstellung selbst darlegen, ist das Thema El Greco und sein Einfluss auf die Moderne eher ein alter Hut. Vermutlich gerade deswegen wurde der Themenkomplex noch nie umfassend in einer Ausstellung gewürdigt. Auch wenn vor eineinhalb Jahren bereits etwa vierzig Werke El Grecos in Brüssel zu sehen waren. Die eigene, intensive Erfahrung mit vielen spannenden Bildern kann man jetzt im Düsseldorfer Museum Kunstpalast machen.

Der unique Künstler mit dem Titel „El Greco“ ist heutzutage einer der Lieblingsmaler der Kunstgeschichte. Mehr Bezüge, Interpretationen, Verweise und Querverbindungen zur Kunst, die von Byzanz bis in die Moderne hineinreichen, kann es kaum geben: ein Butterbrot der Kunsthistoriker. Ein Liebling der Individualisten.

Geht man ohne jede Voreingenommenheit über eine mögliche Bedeutsamkeit von Künstlern durch die Ausstellung, erfährt man, dass der Maler „El Greco“ bei einem seiner Ernährer, König Philip, als malender Akteur kaum Gefallen fand. Warum? Weil Extremitäten verzerrt sind, ein schablonenhafter Figurenstil zu sehen ist, schlampig gemalte Hände, ein uninspiriert scheinendes hartes Weiss als Lichtsetzung nicht nur wiederholt benutzt, sondern auch mässig ausgeführt wird? Neben schematisch stark vereinfachten Kompositionen, zweischichtigen oder schlichten Perspektiven, einer Comic-haften Körperlichkeit oder grotesk vernachlässigten Nebenfiguren. Deswegen? Wir erfahren was heute zählt: es soll die Expression sein, das innere Leuchten, eine humanistische Grundaussage des Individuellen - kurz und gut: die tiefste Menschlichkeit soll sprechen aus den Bildern, eines, bis in die heutige Zeit hinein wirkenden Meisters. Das möchte auch ich hoffen.

Man hat mir beigebracht Dinge zu hinterfragen, die zeitlichen Bewegungen, Methoden und die Machtverhältnisse, die um die Kunst herum aufscheinen, bei keiner Betrachtung zu übergehen. Heute kann niemand mehr vor einem Bild stehen und behaupten, er wäre nur ein Betrachter desselben. Als vermeintlich aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts im Zeitalter des Web ist man unter allen Umständen Akteur geworden.

Es ist somit spannend zu ergründen, warum ein Maler des 16./17. Jahrhunderts nicht nur wegen ungewöhnlicher malerischer Umsetzungen und überraschendem Bildaufbau enthusiastisch gewürdigt wird, sondern in welcher Weise sein nachvollziehbares Steckenbleiben zwischen Ikonenmalerei und dem Einfluss der italienischem Schulen jener Zeit, neben einer unverhohlenen zeichnerischen Schwäche (oder ist es Arroganz?) zu seinem stilbildenden Element wird. Ein Stil, den wir modern nennen wollen, auch wenn die Bilder, ihrem Wesen nach, alles andere als modern sind. Man kann trotzdem nicht umhin, neben den vielfältigen Assoziationen an die Moderne, an James Ensor oder gar an Sandro Chia erinnert zu werden.

Die Bilder El Grecos machen es einem leicht. Denn, sein unterstellt bewußter Verzicht auf die in seiner Zeit geforderten technischen und sinnlichen Merkmale der Malerei, erscheint uns heute in erneut bestätigender, ja, erlösender Formatierung. Als jetzt lebende Menschen, die, nach dem Zerfall der grossen Ost-West-Machtblöcke, wieder von vielfältigen Versuchen der Ideologisierung heimgesucht werden, kommt uns eine emblematisch und plakativ nachvollziehbare Lebensauffasung zur Idee der persönlichen Freiheit gerade recht. Was den Wert einen Künstler in Bezug zu geltenden politischen Idealen setzt.

Die Bilder El Grecos bleiben, allen Überlegungen zum Trotz, ein sehr intensives Erlebnis, dem man sich nicht entziehen will. Die von Cezanne für gute Malerei geforderte „Verschränkung“, ist, dem Erlebnis zum Trotz, in den Orginalen El Grecos weit weniger sichtbar als in den farblich verstärkten Print und Web-Abbildungen. Es wirkt gelegentlich, als ob sehr viele verschiedene Künstler am gleichen Bild gearbeitet hätten. Die Hintergründe wirken eher plump, die Methoden so sehr vereinfacht, das man sie hauptsächlich wegen der permanenten Wiederholungen zum Stil erklären muss. Die Mittel lassen sich an den Fingern einer Hand aufzählen. Beinahe wird eine Abstufung in der Aufmerksamkeit des Künstlers gegenüber seinen Sujets erkennbar: am meisten sinnliche Freude machte ihm offenbar der Faltenwurf und die grosse Freiheit zur Farbe bei den Umhängen der gemalten Personen, danach kommt die Ausarbeitung der zentralen Portraits, dies entspricht der Idee des Ikonenbilds. Soweit seine Spezialitäten – blasphemisch ausgedrückt. Als alleingelassene Einzelteile tauchen dann Symbole auf, die den inhaltlichen Bezug des Bildes auf einfache Art verständlich machen (siehe: die offenbar als Massenware gedachten Bilder der Franziskaner). In einem anderen Bild ist es die Obstschale, die dem kindlichen Jesus dargeboten wird. Sie fällt auf eine beinahe unangenehme Art aus dem Bild heraus, so vollständig trennt sich diese Umsetzung vom Rest des Dargestellten. Ein Kunstgriff oder doch ein anderer Maler?
Mit besonderem Respekt habe ich in einer Führung durch die Ausstellung vernehmen dürfen, daß El Greco die Malereien in der sixtinischen Kapelle als „schlecht gemacht“ bezeichnete und sich angeboten hat, die dortigen Arbeiten Michelangelos zu übermalen.
Auch eine erhellende Perspektive auf einen in jeder Hinsicht einzigartigen Künstler.
Ich glaube, ich bewundere ihn.




Montag, 16. Juli 2012

Zwielichtiges Aufsichtspersonal bei El Greco trifft Gert Kaiser?

Museum Kunstpalast: Aufsicht mit Aussicht?

Mehrfach wurde mir davon berichtet, jetzt durfte ich es am eigenen Leib erfahren: das Anzug tragende, aber militaristisch agierende Ausichtspersonal, im von Generaldirektor Beat Wismer bespielten Düsseldorfer Kunstpalast, scheint nicht nur von handfesten Machtgefühlen beseelt, sondern neigt offenbar zu persönlichen und leicht gewalttätigen Übergriffen.

Unseriosität
Im Bereich der Verwaltung/Presse des Museum Kunstpalast war bereits gegen 14.00 Uhr niemand mehr anzutreffen. Das ist grundsätzlich schade. Als Mitglied des Deutschen Fachjournalisten Verbands bekommt man dankenswerterweise freien Eintritt und auch beste Wünsche des wirklich freundlichen Kassenpersonals, ein kompetenter Ansprechpartner ist jedoch im laufenden Museumsbetrieb nicht aufzutreiben.
Um etwas über die Ausstellung „El Greco und die Moderne“ in diesem Blog illustrieren zu können, habe ich, ohne jede Heimlichkeit, mit dem Mobiltelefon ein situatives Foto des Innenraums gemacht. Es war eine bewußt unklare Bilder-Spiegelung im Fussboden. Daraus entwickelte sich ein sehr aggressives Verhalten eines Mitarbeiters des Sicherheitsdienstes, der durch sein nötigendes Verhalten nicht nur tatsächlich in meine Persönlichkeitsrechte als Mensch, Journalist und Künstler eingedrungen ist (diese Nötigung machte ihm ganz offensichtlich große Freude), sondern später mit einem starken Rempler auch körperlich übergriffig wurde. Dies dürfte hoffentlich auf der Videoüberwachung des Museums aufgezeichnet worden sein. Mein Bild habe ich wegen der sich anbahnenden Eskalation gelöscht, aber der Effekt für das Museum verpufft natürlich, denn viele befreundete Künstler haben aus Solidarität mittlerweile Dutzende von heimlichen Bildern und Videos in den Räumen der El Greco Ausstellung gemacht. Was bleibt von einem solchen, überzogenen Verhalten des Personals? Ein Geruch der Unseriosität.

Aufsicht oder Saalschutz?
Natürlich habe ich versucht mich zu beschweren und erneut einen Ansprechpartner des Museum zu finden. Es war jedoch niemand mehr im Haus – außer dem besagten privaten Sicherheitsdienst – dessen Mitarbeiter in ihrem Verhalten und ihren körperlichen Gesten mehr an ein Überfallkommando von „Moskau Inkasso“ erinnerten (denen man eventuell jetzt Unrecht tut), als an eine Hilfe und Aufsicht im Museum. Ich fühlte mich an ausgesprochen schlechte Gangsterfilme erinnert. Für eine umfangreichere Auseinandersetzung mit dem Thema „Kunstwerke und Machtstrukturen“ empfehle ich die Arbeit „Picasso in Palestine“, des 1965 in Hebron geborenen Khaled Hourani auf der jetzt laufenden Dokumenta 13. Besonders interessant wird dieser Umstand, wenn man zuvor über die humanistische Prägung in den Bildern „El Grecos“ nachdenken durfte. Die Museumsaufsicht: die Idee der Professionalisierung wird offenbar deutlich mißverstanden und eine Kunst-Ausstellung die weltweit für Furore sorgen soll, bekommt auf diese Art einen vermeidbar deutlich provinziellen Touch. Großstädtische Gelassenheit sieht irgendwie anders aus.

Prof. Kaiser und die App
Wie kommt es wohl, daß sich der Germanist Gert Kaiser ganzseitig in der Rheinischen Post vom 14. Juli fragt, ob Düsseldorf eigentlich noch cool sei und wie es das wieder werden könnte. Davon abgesehen, ob es tatsächlich erstrebenswert ist, dem veralteten Begriff der Coolness hinterherzujagen, scheint es mir wichtiger, experimentelle Kunst entstehen zu lassen und solche kulturellen Freiräume zuzulassen, die nicht in etablierten Zonen geschehen. In Düsseldorf scheint das später Angesagte jedoch schon vorher feststehen zu müssen. Dabei gilt weiterhin die Aussage auf einer Postkartenaktion der 1990er Jahre:
„Kunst findet statt, nicht umgekehrt“.
Das Problem haben in Wirklichkeit die sogenannten Verantwortlichen der Stadt. Dort existiert ein offenbar großer Druck weltstädtisch sein zu wollen oder gar zu müssen.
Die App des Museums Kunstpalast war dafür als Ausgleich bei meinem Besuch wenigstens eine echte Katastrophe.
Irgendwie uncool ...


(Besprechung der Ausstellung „El Greco und die Moderne“ folgt)

Freitag, 6. Juli 2012

Dokumenta 13. Ein erster Rundgang.

Dokumenta13: Archiv – Reifenregal.


Die weltweit größte Ausstellung aktueller Kunst zu sein ist als Idee eine Gigantomanie.
Sie stammt aus dem Geist konzentrierter westlicher Konsum- und Machttradition, die, als Kunst adäquat gesellschaftlich gespiegelt, dort Ihren bisherigen Sinn bezogen hat. Diese wichtige Einsicht wird durchaus in der aktuellen Gesamtschau reflektiert. Sie macht sich ebenso in der tendenziellen Auslagerung der D13 nach Kairo, Banff und Kabul bemerkbar. Es formieren sich Gegengewichte. Künstlerisch, politisch und sozial.

Carolyn Christov-Bakargiev beginnt Ihren Aufsatz im „Das Buch der Bücher“ damit, daß das sogenannte Rätsel der Kunst darin bestehen würde, daß  „... wir nicht wissen was sie ist, bis sie nicht mehr das ist was sie war.“ Ein schlauer Satz? Oder doch ein Allgemeinplatz? Aus ihrem Verständnis heraus lässt sich auf jeden Fall erklären, welch' prägende Rolle zeitgeschichtliche Bezüge für Frau Bakargiev spielen mussten. Aber rätselhaft soll die Kunst wohl auch bei ihr sein dürfen.

Die Einbindung von Wissenschaft, Philosophie, Anthropologie und vielen anderen menschlichen Tätigkeitsfeldern ist folgerichtig, wenn es darum gehen soll, den Wendepunkten menschlichen Werdegangs zu einer Anschauung zu verhelfen. Aber waren das nicht bereits Forderungen von Joseph Beuys und anderer Künstlern seit den 1970er Jahren? Und ging die Frage nach einer möglicherweise „anthropologisch“ zu nennenden Kunst, eine, die sich über keine anderen Tätigkeiten erheben soll, nicht auch bereits von diesem Kraftfeld aus? Ist die Dokumenta 13 diejenige Ausstellung, bei der die Anthroposophie bei den Kuratoren angekommen ist? Oder geht es bei der ganzen Interdisziplinarisierung, um eine gezielte Einbindung der Kunst in den wissenschaftlichen Kosmos. Geht es gar um weltliche Anerkennung?
Die erste abgebildete Zeichnung (eine Mind-Map v. CCB; sic!) im Buch der Bücher und auch der Raum der Quantenphysik mit seiner übergrossen Kreidetafel erinnert sicherlich bewußt an Teile des Beuysschen Werks, respektive Steiners.
Der Ausstellungsansatz „menschliches Denken nicht hierarchisch über die Fähigkeiten mancher Dinge zu stellen“ (BdB, Seite 31) mutet dann überzogen bis rührend an: darum bemüht, keine mögliche Sichtweise außer acht zu lassen. Offenheit oder fehlende Perspektive?

Wer z.B. Kunst als manipulatives oder manipulierbares Archiv erkennt, wird als Künstler/Kurator oft genug seine Formfindung in diese Richtung laufen lassen. Jede Formfindung hat schließlich auch ihr System.
Bereits die Arbeit mit Archiven, Vernetzungen, Diagrammen, Speichern, Sammlungen und Mind-Maps wird demzufolge schon zum Reingewinn einer, global zu betrachtenden, Kunstauffassung. Der in Beirut geborene Tarek Atoui nutzt dieses Moment mit sehr positivem Beispiel, aber er hält sich bei der Präsentation an die Erfordernisse des Kunstmarktes, der ebenfalls ein manipulierbares Archiv darstellt: seine Maschinen sind in hochwertige, perfekte Schaukästen montiert. Etwas steril gewordene, unangreifbare Erinnerung an eine interaktive Sound-Performance.
Der Betrachter selbst wird auf der Dokumenta zum bespielten Zentrum einer wohlmeinenden und altbekannten Gesellschaftreflektion. Die zugehörige Selbsterfahrung wird in Form eines Mitmachspiels gleich mitgeliefert. Alles scheint so unglaublich berücksichtigt. Vielleicht weil der Gedanke einer unendlichen Ausweitung des bereits erweiterten Kunstbegriffs offenbar vollzogen scheint. Aber die Konsequenzen dieser Ausweitung werden kaum besprochen. Vielleicht zeigt sich hier kuratorische Zurückhaltung als auffächerndes, dienendes und nicht als meinungsbildendes Element?

Tatsächlich darf man sich nicht sicher sein, ob der Quantenphysiker Anton Zeilinger oder der Epigenetiker Alexander Taraskovsky eine ebenso große Offenheit gegenüber der Kunst verspürt, wie die Kunst, in Persona von Frau Bakargiev, für die Beschreibung der Welt durch die Physik oder die Wissenschaft aufbringt. Die Dokumenta ist diesmal ein fragendes Abbild dessen, was gesellschaftlich längst passiert scheint. Wir erleben kreative Misch-Formen als Manifestationen eines sich immer exzessiver öffnenden Kunstverständnisses: im Internet, in Blogs und second life längst ein alter Hut, wird diese Erweiterung mit historischen Komponenten neu verkoppelt und erhält dadurch einen erneut beschreibbaren Kunstkontext. De facto eine Rückholung. Irgendetwas muss ja hinein – in die vielen bespielbaren Gebäude der GmbH.

Der eben beschriebene Kunstkontext stützt und schützt die historisch zu nennende Kunstauffassung, die ein, sich wandelndes, Künstlerbild beinhaltend, vor der Leere oder gar der in Aussicht gestellten Löschung der Kunst (Kunst kann jedoch nicht verschwinden, Anm. des Autors). Was Kunst heute notwendig gebrauchen könnte, wäre eine Definition des Künstlerbildes, um die Kunst als Tabuzone der gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung endlich aufzuheben.
Das sollten Künstler solidarisch selbst tun. Manche sind in ihren Überlegungen eindeutiger als Frau Bakargiev.
Zum Beispiel die 1956 geborenen Claire Pentecoast, die auf Ihrer Website mit dem wegweisenden Titel THE PUBLIC AMATEUR Projekte fördert, die sich „ ... aus Motiven speisen, die über die eigene Karriere hinausweisen". In Pentecoast zeigt sich ein neuer Künstlertypus, der bereit ist, sich öffentlich und unter Zuhilfenahme alter und neuer künstlerischer Produktionsformen, mit Wertebegriffen und ihren möglichen Ausformungen auseinanderzusetzen. Aus demselben Grund sei auf das Kunst- und Blogprojekt „Der Künstler als Kritiker“ hingewiesen, das Sie soeben lesen.

Sich in Frage zu stellen ist ein Gebot der Stunde. Verantwortung zu übernehmen ist ein Gebot der Stunde. Dazu gehört offener Zugang zum Wissen und ein dezenter Wille zum Übergriff.


Eine Fahrt nach Kassel ist derzeit sehr empfehlenswert.
Aktuellste Kunst und Methoden substantieller Verschiebung sind dort vorzufinden.



©crschulz, duesseldorf, 5.7.2012


Mehr Vorträge, Lese-Performances, Filme des Künstlers:
Die Drift des Künstlerbildes.