Donnerstag, 19. April 2012

Søren Grammel wirkt im Kölnischen Kunstverein

Warum schreibt Saim Demircan, was verbindet Benjamin Hirte?

































Der neue Leiter des Kölnischen Kunstvereins, Søren Grammel, hat seine erste Ausstellung "A wavy line is drawn across the middle of the original plans" genannt. Eine tendenziell programmatisch wirkende Überschrift, die eine unklare Situation in einen Status erhebt. Nicht schlecht. Man ist geneigt, zumindest vor sich selbst, zu klären, was die oben angesprochenen, originären Pläne denn gewesen sein könnten.

Die schöne Einführungsrede von Grammel erreicht die Zuhörer auf der Treppe im renovierten Foyer des Kunstvereins. Da man praktisch unten in einem Treppenhaus steht, entspricht dieser Ort einer situativen Initiation: man muss auf jeden Fall einen Aufstieg überwinden, um in die Ausstellungsräume zu gelangen. Der Kurator spricht sympathisch und überzeugend von seiner inneren, gespannten Hinwendung zu den diffizilen Räumen an der Kölner Hahnestraße und seinem Verhältnis zum Kölnischen Kunstverein, das ihm bei der ersten und aktuellen Ausstellungsumsetzung, die er „Bespielung“ nennt, die Hand geführt hat.
Ebenso gibt er selten gehörte Hinweise, daß er sich vom Betrachter eine Herangehensweise über die kontrastierende Wirkung und die Materialität der ausgestellten Werke wünscht.

Die ausgewählten Künstler und Arbeiten soll die Darstellung eines Minimalismus* einen, dem sie, in transzendenzloser Anschauung* die pure Physikalität* des Werks gegenüberstellen. Das die Quelle der Werke ein Baukasten sei, aus dem Normalität konstruiert wird*, ist demgegenüber als Aussage und als Satz eher eine persönliche Einschätzung und gäbe Anlass zu Diskussionen über systematisierende Lebensanschauungen. Alle Arbeiten sollen ohne die im Museums- und Ausstellungsbetrieb üblichen Sockel und Präsentationsmodi auskommen. Eine Idee Grammels, die zu einem geschlossenen Bild einer räumlich zusammenhängenden Installation führen soll.
Diese Intention ist zwar nicht neu, aber heute immer noch mutig genug. Sie verweist auf den Diskurs, die Nähe zum Künstler und den Glauben an eine eigenständige, aktive Kraft der künstlerischen Produktion und ihrer Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Realität.
Betritt man den unteren, beinahe rundum verglasten Raum der Ausstellung, so drängt sich der Eindruck auf, das ein einziger Künstler für alle Werke verantwortlich ist – so sehr ist die ästhetisierende Verbindung zwischen den Arbeiten tatsächlich geschehen. Allerdings ist der Preis dafür sehr hoch, die klare Handschrift die hier den Raum beschreibt, ist offensichtlich die des Kurators, möglicherweise zuungunsten der gezeigten Künstler. Sie scheinen zu eher marginalen, etwas kraftlos empfundenen Spielsteinen des kuratierenden Ensembles zusammengeschmolzen zu sein: 


Material ist natürlich zu finden, jedoch keine starke Materialität. Das angeführte „sublime“ stellt sich nicht wirklich ein, weder im Sinne des erhaben Vollendeten noch im Sinne des Subtilen oder Unglaublichen. Die kuratorischen Direktiven sind ausgesprochen aktuell, sie finden jedoch kaum Entsprechung in der gezeigten Ausstellungswirklichkeit. Dass der Betrachter gefordert wird ist immer gut. Daß man jedoch von keiner Arbeit angefasst oder in den Bann gezogen wird, könnte eine kleine Schwäche sich selbst speisender Intellektualität sein.
Der englische Ausspruch: „There is only one step from the sublime to the ridiculous.“, dürfte am Eröffnungsabend gelegentlich Gehör gefunden haben. Die Suche nach der Wahrnehmung und die Verortung von Wirklichkeit können sich nicht beinahe ausschließlich in theoretischen Bezugsebenen verfangen. Sie brauchen, wenn man gestalterisch-künstlerische Zusammenhänge in einer Kunstpräsentation bemüht, eine Form, eine Sprache die berührt,  bewegt, zerstört oder verhindert. So werden Türen für eine lebendige Auseinandersetzung geöffnet. Der Abend im Kunstverein hatte Ansätze von Anschauungsunterricht, ja, von das Leben egalisierender akademischer Recherche. Ist dort die aktuelle Kunst zu finden? Man wird sehen.
Mit seinen, die Normierungen des Kunstbetriebs überwindenden, Postulaten darf Søren Grammel in seiner Funktion beim Kölnischen Kunstverein durchaus auch bei der Kunst viel mutiger ausholen. Er darf den Künstlern mehr räumliche Konzentration zugestehen, ohne Gefahr zu laufen, seine Intentionen zu verschenken. Es ist sicherlich eine der schwierigen Aufgaben jedes Ausstellungsmachers die Balance zwischen den gezeigten Formulierungen der Künstler und der eigenen präsentablen Vision auszutarieren. 
Ich freu' mich also jetzt schon auf Teil II.

(*=Dem kuratierenden Text Søren Grammels entnommen)

A wavy line is drawn across the middle of the original plans“
Kölnischer Kunstverein 19.4. – 10.06.2012

Mittwoch, 4. April 2012

Entrüstung. Gesagt. Getan. Günter Grass.


Interessant: ein Gedicht bringt Sie zum Vorschein, die vorschnellen Kommentare und die Helden des ewigen politischen Kalküls: Schnelldenker wie Herrmann Gröhe und Ruprecht Polenz sind schon mal entsetzt, Dieter Graumann und Reinhold Robbe empfinden ein kontroverses öffentliches Nachdenken in Gedichtform, persönlich diffamierend, gleich als überflüssig und eitel.
Dass der Vorwurf des Antisemitismus – in diesem Fall zu leichtfertig – auftaucht, hat Grass in seinem Text vorausgesehen. In der Tat war das nicht schwer und vermutlich erwünscht. Dieser Weg wird gelegentlich beschritten, will man umfangreiches öffentliches Interesse erregen. Was gelungen scheint.

Gut ist: eine künstlerische, eine lyrische Form mit politischem Inhalt löst ein Gespräch aus, über das der deutsche Staat allen Grund hat nachzudenken und zu dem er sich öffentlich längst hätte äußern sollen. In welcher Form macht Deutschland sich an militärischen Erstschlägen ohne jegliches Einverständnis der Vereinten Nationen mitschuldig? Das Land der Dichter und Denker ist bereits wieder drittgrößter Waffenexporteur der Welt ... aber wer ist jetzt wessen Richter? Und warum ist es so schwer darüber zu sprechen?

Einfache Fragen?
Könnte das Atomprogramm des Irans nicht auch dem geschichtlich nachweisbaren Verlangen nach Energiesicherheit geschuldet sein, das durch die geo-politisch isolierte Lage des Landes entsteht? Wer entscheidet zudem darüber welches Land sich mit Atomstrom versorgen darf und welches nicht? Ist mit dem Atomprogramm tatsächlich eine Atombombe gekoppelt, die Israel vernichten wird? Gab es die Atomraketen des Irak eigentlich?
Wie sehen oder sahen schlüssige Maßnahmen der Weltgemeinschaft in einem solchen Fall aus? Aus welchem Grund könnte ein Staat über den Entscheidungen der internationalen Staatengemeinschaft stehen?
Welche überholt geglaubte oder neue gefährliche Rolle spielt Deutschland in diesem System von aktuellen Machtinteressen?

Diese einfachen Fragen stellen zu dürfen, sollte Teil der Verantwortung sein, die jeder Deutsche mit der eigenen Geschichte verbinden kann und die er der Welt schuldig ist.


Günter Grass' Verdienst mit diesem Gedicht könnte es sein, die Sicht zurück auf den einzelnen Menschen zu lenken, der tatsächlich unter militärischen Einsätzen zu leiden hat, egal woher er stammt. Grass tut dies, in dem er eine Perspektive bezieht, die man als persönlich verantwortlich verstehen darf, jenseits des politisch-nationalen Kalküls. Damit ist sie auf eine nicht blasierte Art international. Sie ist auf keinen Fall antisemitisch.
Zudem bestärkt der Schriftsteller die Forderung, das es friedliche Lösungen nur mit dem Einverständnis und den definerten Idealen einer Weltgemeinschaft geben kann. Das ist fast ein Allgemeinplatz – jedoch zweifellos richtig.
Freies Denken darf weder an den Grenzen irgendeiner Ideologie stehen bleiben, noch darf es Ängste in Scheinargumente umfunktionieren.Wenn sich ein Künstler darüber wundern will dann darf er das unter allen Umständen. Er darf auch dafür eine Form finden.
Wer einen denkenden Künstler und politisch handelnden Menschen wie Günter Grass zu einem Antisemiten abstempelt, muss sich dem Vorwurf stellen, reaktionären, wenn nicht gar kolonialistisch orientierten westlichen Denkmodellen verhaftet zu sein. Zu meinem großen Bedauern reiht sich Henryk M. Broder in diese fatale Gruppe ein.

Im Jahr 2012 könnte man in der Lage sein, selbst als Europäer, sehr viel weiter über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Sich, wie Grass, als Künstler mit seiner politischen Meinung von einer breiten Öffentlichkeit in Frage stellen zu lassen, ist kein unwichtiger Schritt auf dem Weg Kunst und Künstler in ihrer Rolle neu zu hinterfragen.


Carsten Reinhold Schulz
Aus dem Projekt „Der Künstler als Kritiker“ 2012 




Im folgenden der Wortlaut des Gedichtes "Was gesagt werden muss" von Günter Grass in voller Länge. Das Gedicht erschien in der "Süddeutschen Zeitung", der "New York Times" und "La Repubblica":
(Quelle: Süddeutsche Zeitung)




Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.


Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.


Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?


Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er missachtet wird;
das Verdikt 'Antisemitismus' ist geläufig.


Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muss.


Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.


Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muss,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.


Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.


Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.