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Donnerstag, 16. Dezember 2010

Jochen Gerz, 2-3 Strassen

Jochen Gerz wohnte für uns in einem Haus in Essen.




















Wie schon oft ist es Jochen Gerz mit der jetzt beendeteten Aktion „2-3 Strassen“ wieder gelungen, mit, soweit es sich übersehen lässt, gesellschaftlichem Gewinn, die Vorstellung vom einfachen Bürger mit der überholten Idee der heutigen Künstler als Polarität sowohl in Frage zu stellen als auch zu nutzen: Kreative aus ganz Europa zogen in verschiedene, bewohnte Häuser im Ruhrgebiet für ein Jahr – und alle haben darüber in einem offenen Buch geschrieben. Die Idee einer gesellschaftlichen Autorenschaft, die er sucht und die seiner Arbeit stets zugrunde liegt, ist so entscheidend und vielversprechend, daß er es schwer haben dürfte jenseits seiner Bezüge zur Erinnerungskultur langfristig in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Der Grund dafür ist einfach: die Ideen sind wichtig und zerstören inhaltlich die trägen Auffassungen von Kunst. Noch sorgen die öffentlichen Auftraggeber aus eigenem Interesse für die notwendige Pressearbeit. Der finanzielle Einsatz der öffentlichen Trägerschaft muss schliesslich beglaubigt werden. Gerz hat jedoch Elementares verstanden und seine Grösse liegt auch im steten Suchen nach dem geeigneten Bild für den Anstoss zu neuen, komplexen gesellschaftlicher Prozessen. Jochen Gerz ist damit ein deutlich wichtigerer, aber weitaus schlechter bezahlter Künstler als die gestrigen Richter oder Gursky. Gerz Konzepte, die sich auf den Wandel der ästhetischen Anschauungen beziehen, verlangen nichts weiter als die Neuorientierung der Kunst schlechthin und einen Verzicht auf herkömmliche Bildformen. Damit deckt sich seine Auffassung mit denen aktueller Kunstgruppen, die allerdings den Begriff der Autorenschaft oft vollkommen freigegeben haben. Die Autorenschaft allerdings scheint Gerz noch stets mit dem Einzelnen und seinen persönlichen Ideen zu verbinden, womit er dem Verständnis des genialischen Künstlers noch verhaftet bleibt. Das er mit seiner Arbeit wichtige Felder neuer Kunst bearbeitet ist ein kaum einschätzbarer Wert für uns alle.

Montag, 7. Juni 2010

Day of song: das Ruhrgebiet als Nordkorea?





















Möglicherweise ist die Überschrift leicht übertrieben. Natürlich kann es schön sein, wenn Menschen aller Generationen zusammen singen. Da entsteht ein gewaltiges Gefühl. Singen ist ja an sich ein befreiendes Unterfangen. Mich erfüllt es ebenfalls mit ganz großen, aber eher merkwürdigen Emotionen, wenn ich bei der Ruhrgebiets-Sing-Zusammenkunft im ausverkauften Stadion den pseudo-solidaristischen Text: „... was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen ...“ und dann gleich als nächste Textzeile: „... nur, wir müssen geduldig sein, dann dauert es nicht mehr lang ...“ hören muss. Da wird mir persönlich speiübel und den politisch Verantwortlichen aller Couleur lacht das Herz, bei soviel medial eingetrichterter Nachsicht. Als nächster Tiefschlag dann der eigentlich geniale aber mittlerweile etwas gutmenschelnde-Quoten-Schwarze Bobby McFerrin. Er darf auf „Let it be.“, bisweilen schwummerig, aber in seiner allseits beliebten Manier ein wenig improvisieren. „Let it be.“ heisst letztendlich: „Schwamm drüber.“ Ein Text, der von mir nicht kommentiert werden muss und den im Stadion alle singen konnten. Glück gehabt, dass das Lied „Die Wacht am Rhein“ nicht mehr zum allgemein bekannten Liedgut gehört. Aus praktischen Erwägungen hätte man möglicherweise auch dieses Singmotiv noch ins Auge gefasst. Kurz bevor ich die Übertragung zur besten Sendezeit ausschalten wollte, erscheint ein hochmotivierter Herr im Anzug und teilt das Stadion in vier Gruppen und alle singen sodann im Kanon: „Hejo, spannt den Wagen an ...“ Endlich wurde also auch der Wunsch nach einer Steigerung des Bruttosozialprodukt direkt musikalisch in Szene gesetzt. Auch dieses Lied wird frenetisch bejubelt und besungen. Nur fehlte, für meinen Geschmack, die schöne Ironie des bekannten Liedes von „Geier Sturzflug“ aus den 1980er Jahren. Jajaja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Wer hat die Liedauswahl bei diesem Sing-Sang vorgenommen? Ein Parteienausschuss? Und wieso wird für ein solches Spektakel die allerbeste Sendezet bemüht, wieso taucht man diesen Liedabend nicht – wie die Sendung des philosophischen Quartetts – in die dunklen Sendeschatten nach Mitternacht? Dort werden die wichtigen Fragen und Zusammenhänge dieser Gesellschaft normalerweise besprochen. Der profane Grund dafür ist: ein nordkoreanisch motivierter Singabend ist der leichtere Weg,  die Menschen in Deutschland weiterhin unterschätzen zu dürfen. Nur durch dieses Unterschätzen und Kleinhalten, es wird bezeichnenderweise Unterhaltung genannt, mit sprachlich schwurbelnden Minimalmotiven und Ansätzen aus der musikalischen Larifariküche lässt sich auf breiter Ebene das Eigenbild der politisch Verantwortlichen Gruppen bewahren, sie würden gut für alle sorgen und alle wären zufrieden. Es wird ebenso stetig deutlicher, das die Kulturmacher ihre ehemals freie Rolle längst aufgegeben haben und sich der sozialen Unterdrückung durch Mittelmass und eine monströse Verkennung ihrer veränderten Aufgaben schuldig machen.


Sing it again, Sam.