Montag, 20. Februar 2012

Gerhard Richter: Gerhard Richter im nebulösen Opportunismus?

Drei Matrosen: Easy-Richter-Fake, von DAS ZWEITE FELD, 2012


















In kritikfernen Zeiten, selbst in einem Kunst-Projekt wie diesem, den künstlerischen Status Gerhard Richters anzuzweifeln, kann in Deutschland bedeuten, sich für geschätzte tausend Jahre ins soziale Abseits zu schießen. So lange könnte es womöglich dauern, bis der gesellschaftliche Gleichschritt namens Richter als Kunst neu hinterfragt werden darf. Dabei ist es mehr als simpel in einer Art und Weise Stellung zu beziehen, in der man nicht gezwungen ist mit den Wölfen zu heulen. Schaut man wertneutral auf die Arbeiten Richters, lässt sich, in der Abfolge der entstandenen Arbeiten, der richtigen Selbsteinschätzung des Künstlers gemäß ( ... ich mag alles, was keinen Stil hat), der Weg einer immer größer werdenden Reduktion verfolgen. Die handwerkliche Ausführung ist notwendigerweise perfektionistisch, akribisch, möglicherweise auch zwanghaft. Die angesprochene Reduktion zielt jedoch nicht auf eine größere Klarheit ab, sondern auf größere allgemeine Zustimmungsfähigkeit – die jeweiligen Sujets sind am temporären Zeitgeschmack angedockt – eine Grundidee der sogenannten Pop-Art. Was im Rückblick wie ein logische, künstlerisch motivierte Kette erscheint, ist eine nur leicht verfremdete Wiedergabe von früh als historisch erkennbar gewordener Geschehnisse. Ist das Ausgangsmaterial zumeist ein Foto, anfänglich gerne ein Zeitungsbild, demzufolge ein kulturell bereits gefiltertes Zeitzeugnis, oder eine uns alle verbindende, scheinprivatisierende Ästhetik der Erinnerungsfotografie, bewegt sich die jeweils gewählte Kunst-Methodik Richters später auf eine vollständig reine, praktisch entfleckte Ästhetik zu, die sich in der Allgemeingültigkeit auflösen muss. Das bedeutet nicht notwendigerweise das Erscheinen von sinnvollen Inhalten. In Wirklichkeit würden sie sogar schaden.

Leere Ikonen und populäre Methoden heutiger Politik
Die entstandenen Bilder werden mit den gleichen populären Methoden als inhaltsleere Ikonen in unsere Welt vermittelt, wie sich die heutigen Sachverwalter unserer Politik, ohne Vision und ohne Risiko gesellschaftliche Bewegung zunutze machen. Symbolisch gesehen heißt das: man setzt auf Pferde, die bereits gewonnen haben. Wenn der ehemalige Leiter des Kölner Wallraf-Richartz-Museums Caspar König schreibt, das Richter einen mutigen oder politischen Akt durch seine RAF Bilder hergestellt hätte, so entspricht diese Einschätzung kaum den Tatsachen. Wohl aber dem gefühlten Wunsch der Kuratoren so etwas erreichen zu wollen. Die angesprochenen Bilder überzeugen zumindest durch die schiere Möglichkeit eines sentimental-persönlichen Blicks. Die meist kritiklose Spiegelung vorgegebener gesellschaftlicher Events ist zwar als Pop-Art in die Geschichte eingegangen, hat sich aber heutzutage vollständig überlebt. Tatsächlich wird immer deutlicher, dass die sogenannten Pop-Artisten seit langem als Stützen einer politisch fragwürdigen, weil zerstörerischen Weltsicht fungieren. Dies muss sich auch Gerhard Richter sagen lassen. Der schwindelerregende Konsens des Kunstmarktes müsste dem Menschen Richter und auch dem Intellektuellen allerdings Alarmzeichen genug sein. Die Generation der Kunstverwalter und Künstler, die ihre eigene Adoleszenz, gekoppelt mit der Zeit der 1960er und 1970er Jahre als einzigartig revolutionär empfindet und sie nicht als eine Periode kreativer Verstörung erkennt – sie können die Riesenschritte der letzten Zeit und ihre kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen mit der menschlichen Realität nicht mehr nachvollziehen. Eine gar revolutionäre Gesellschaftskritik, die angeblich von Kunstformen, wie der an der Pop-Art orientierten Gerhard Richters, ausgehen soll, lässt sich heute nur auf dem Umweg komplizierter Bezugsebenen herauslesen. Sie ist mittlerweile kaum mehr als ein emblematisch wirkendes Konstrukt in der Rückschau.

Was haben Merkel und Richter gemeinsam?
Visionär ist Gerhard Richter damit vor allem als Vorwegnahme Merkelscher Regierungsmethodik: erstmal nix sagen, um später zu machen was die Umfrageergebnisse bringen. Somit ist nebulöser Opportunismus eine perfekte Liaison mit der merkantil ausgerichteten Vorstellung von aktueller Kunst eingegangen.
Allerdings eine Liaison-dangereuse. Man kann nur hoffen, dass diese gefährliche Verbindung der politischen Vereinnahmung nur eine medial verkürzte Darstellung der Kunst ist. Denn glücklicherweise ist die Arbeit heutiger Gestalter viel breiter gefächert, als sie in der Öffentlichkeit erscheint. Viele sind endlich wieder bereit sich mit einer eigenen Meinung den gesellschaftlichen Aufforderungen zu stellen. Sie flüchten sich nicht mehr in, eigentlich zynisch zu nennende, distanzierende Ästhetiken.
Zu selten sieht man eine Begutachtung derjenigen Kräfte, die dazu führen, daß ein spezieller Künstler einen festen Platz im Olymp erhält. Bei Gerhard Richter fällt auf, das er sich bestens dazu eignet, alle kulturellen Projektionen zuzulassen. Somit ist seine beständige Weigerung sich zu eigenen Arbeiten zu äußern – simpel genug – keine intellektuelle Haltung, sondern dem offensichtlichem Willen geschuldet, niemanden zu verprellen.
Seine brutalste Leistung ist vermutlich, ein schlicht kontemplativ inspiriertes, auch buddhistisch oder muslimisch interpretierbares Buntglasfenster im Kölner Dom installieren zu lassen. Aber selbst da ist ihm eine breite Zustimmung, wegen der allgemeinen Abkehr von Ideen der Kirche, ziemlich sicher. Da muss ein kritischer Kardinal nicht als Diskussionspartner, sondern als nörgelnder, realitätsferner Reaktionär erscheinen. Vermutlich hat er jedoch nur eins und eins zusammengezählt ...  Eine Vision, eine künstlerische oder gar religiöse Perspektive fehlt eindeutig bei dem Kölner Fensterbild. Da darf man dem eigenen Unwohlsein durchaus vertrauen. Die lang erprobten Methoden der Kirche und die Größenverhältnisse des Kirchenraums helfen offenbar den Menschen dabei, sich dennoch ergriffen zu fühlen. Hier hat die zweitausendjährige manipulative Erfahrung der Kirche dem Künstler geholfen und ihn möglicherweise ewig gemacht, nicht umgekehrt. Ein schlichter markttechnischer Trick, allerdings erhält die Kirche am Spiel nur eine Gewinnchance (auf dem Feld des Kirchen-Tourismus), wenn sie spätestens jetzt ebenfalls ins Horn des Künster bläst.

Richter markiert das endgültige Ende der Pop-Art
Die dem Künstler Gerhard Richter attestierte Größe und der finanziell nachprüfbare Konsens der mächtigsten internationalen Kunstsammler, markiert zu seinem achtzigsten Geburtstag in allerorten stattfindenen Ausstellungen selbst seiner Materialsammlungen, nun allerdings vor allem das überfällige Ende der Epoche der Pop-Art in einer letzten großen Regung. Die als bürgernah verkaufte Kunstform der Pop-Art konnte nur durch politischen Willen, Menschen wie den geschickt agierenden Richter, sein Kunstmarkt-affines Umfeld und seinen scheinbar unangreifbaren europäischen Sonderweg so lange überleben. Es wird sich noch zeigen, daß diese Kunst entleert, entmenschlicht, missbraucht ist. Es wird Zeit für neue Felder in der Kunst und sie haben alle mit menschlicher Verantwortung zu tun.

Text aus dem Projekt: „Der Künstler als Kritiker“, Carsten Reinhold Schulz , 2012

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