Freitag, 29. Juni 2012

Die Dokumenta in Syrien


Homs. Satellitenbild (Quelle:sda)

Mit einiger Sorge beobachte ich die Methoden und Nachrichtentechniken im Konflikt um Syrien, der jetzt ein Krieg ist. Da ich kein Freund repressiver Regimes bin, halte ich mich doch genauso wenig für einen Freund von Desinformation oder untransparenten Halbwahrheiten.
Man muss sich fragen, wer vom dortigen Konflikt letztlich profitiert. Assad darf man wohl ausschließen, die üblichen Profiteure aus Ost und West,  Kriegsmaterialgewinnler und Waffenproduzenten seien auf eine gewisse (leider zynische) Art bei dieser Überlegung bereits verbucht. Wer bleibt?

Die Proportionen der Macht
im mittleren und nahen Osten scheinen sich zu verschieben. Die Demonstrationen gegen das Assad-Regime – eine vorher als berechenbarer Stabilitätsfaktor betrachtete Regierungsform – wurden zeitgleich begleitet von einer einseitigen, weil zumeist unbelegten, Informationsflut zu den immer gleichen Themen: die guten, weil angeblich demokratisch motivierten Demonstranten wurden als die hilflosen Underdogs der dortigen politischen Landschaft gezeichnet – obwohl die Machtverhältnisse nach unabhängigen Umfragen im Land, laut meinen Informationen, mit einem 60:40 Verhältnis zugunsten Assads ausfielen. Ein so gearteter Aufstand gegen eine westliche Regierung würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als ungebührlicher Terror gegen eine demokratisch legitimierte Macht angesehen. Andere Regierungen - andere Sitten?
Die stetig ansteigende Gewalt in Syrien wurde von militärisch konsequent aufgerüsteten Opposoitionsstreitkräften flankiert, die in der Zwischenzeit eine straff organisierte Armee bilden, die den Krieg bewußt bis in die Städte trägt. Seit zwanzig Jahren im schwedischen Exil lebende Politiker tauchen auf und übernehmen unklare, aber wohl bedeutende Funktionen. Die in den Nachrichten berichteten Gewaltformen eskalieren täglich und übertreffen sich an Scheußlichkeit, um in einem angeblich von Regierungstruppen begangenen Massaker, zu einem für die Regierung Assad denkbar schlechten Zeitpunkt, zu gipfeln. Selbst in den Nachrichten von Spiegel-online wird ohne Umschweife von fehlenden Beweisen für diese Anschuldigung gesprochen. Nichtsdestotrotz wird die Meinung weiterhin kolportiert, das Massaker müsse wahrscheinlich (sic!) von der syrischen Regierung verübt worden sein. Nach deutschem Recht ist dies als gern praktiziertes Verfahren der Bild-Zeitung bekannt geworden und nannte sich nicht erst seit Böll: öffentliche „Vorverurteilung“.

Englische Sicherheitsexperten 
verhindern vor wenigen tagen die russische Belieferung Syriens durch Frachtschiffe mit einem versicherungstrick, wegen vermeintlich an Bord befindlicher Militärhubschrauber. Beweise werden nie erbracht, Dementis gehen in der täglich neuen Informtionswelle unter. Die Oppositionstruppen bekommen dagegen offenbar weiterhin ungehindert Material und logistische Unterstützung auch von westlicher Seite. So verhindert man keine Eskalation, so vertreibt man die für eigene Interessen unbeliebt gewordenen Regimes unter dem Deckmantel einer demokratischen Freiheits- und Friedensliebe aus den bis dato dienlichen Ämtern. Auf Kosten vieler hoffnungsvoller echter Demonstranten, die sich vernüftigerweise längst zurückgezogen haben.
Die Informationspolitik westlicher Medien dient sich weiterhin der beliebten Salami-Taktik an. Erste Berichte über Repressalien während demokratisch motivierter Demonstrationen (Stichwort: Arabischer Frühling“) bilden den Anfang der News zu Beginn des Syrien-Konflikts. Sie stehen im Einklang mit der Hoffnung vieler hiesiger Leser auf einen, mittlerweile als Ideologie mißbrauchten, unklaren Freiheitsbegriffs und eine als letzte Weisheit mißverstandene Demokratie. Dann folgt die Umdeutung der „Demonstration“ zum Begriff des „Aufstands“ als vorweggenommenen Inbegriff des Volkswillens, der schliesslich in eine gute „Revolution“ mündet. Selbstverständlich eine Revolution des „arabischen Frühlings“, der in jedem Fall politisch positiv besetzt ist.

Der arabische Frühling 
ist zugleich angsthemmende Hoffnung des Westens auf die ebenfalls politisch genutzte muslimische West- und Weltverschwörung. Eine Art Cheap-Trick-Branding. Jetzt braucht man nur noch ein Regime, bestenfalls personifiziert in einem Diktator, von allen menschlichen Attributen freizusprechen, ein immergleiches Bild eines zum Teufel entstellten Menschen zu zeichnen, der sein Volk ausbeutet, um sich selbst zu bereichern. Zum Vorschein kommt ein Monster, ein Apparat, eine Maschinierie, die zu allen Brutalitäten fähig ist und Foltermethoden anwendet, die zwar auch demokratisch legitimierten Regimes nicht fremd sind, dort aber bei Aufdeckung als peinlicher Einzelfall behandelt werden. Im Zuge westlicher Sanktionspolitik werden Assad Luxusgüter (Trüffel werden explizit erwähnt) gestrichen - die eigentliche Information, die der Öffentlichkeit so bereitgestellt wird ist diese: Assad schmeisst mit Trüffeln um sich, während das Volk hungert und gemeuchelt wird.

Fehlende neutrale Berichterstattung
Die Verdrängung der früher möglicherweise als distanziert erlebten, aber immerhin neutralen Berichterstattung, zugunsten fataler Fernsehsendungen, die sich als Infotainment verstehen, hat unerträgliche Folgen: emotional geprägte Halbwahrheiten werden als Nachrichten zur Beute der Politisierung. In diesem Zusammenhang ist der Bericht des englischen Journalisten Alex Thomson von Channel 4 News interessant, der schwere Vorwürfe gegen die syrischen Rebellen erhebt, von denen er sich mit seinen Freunden geplant in eine Falle gelockt sah, um Regierungstruppen zu diskreditieren. Dazu passt die Information, daß Rebellen die private, aber regierungsnahe Nachrichtenstation „Al-Ikhbariya“ zerstörten und  dort arbeitende Journalisten und Angestellte ermordeten.
Die syrischen Oppositionstruppen sind sich offenbar sehr genau bewußt, wie wichtig es ist, gezielte Informationspolitik zu weltweitem öffentlichen Druck werden zu lassen.
Fakt scheint ebenso, daß es vor allem Rebellentruppen waren, die sich nicht an Annans Friedensplan und den Waffenstillstand gehalten haben. Der Friedensplan hätte Assad und seinen Strukturen genutzt.

Als Gewinner bleiben
die von Katar und Saudi-Arabien mit Waffen und amerikanischer Logistik unterstützen Truppen unklarer Provenienz und der vielzitierte Westen, der immer ein Interesse daran hat, das sich labile bis brisante Staatsregierungen in Bürgerkriege verwickeln. Dann lässt sich wenigstens daran verdienen und die Karten werden neu gemischt. Ganz nebenbei verliert Russland einen wichtigen Militärhafen in der Region. Ob sich die Folgen dieser Umorientierung absehen lassen und kontrollierbar sind, dürfte fraglich bleiben.

Was mich jedoch wirklich interessiert: steht das mit Steuergeldern finanzierte brandneue Dokumenta-Building in Damaskus noch?


©crschulz, 2012, duesseldorf, das zweite feld









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