Montag, 10. Oktober 2011

Die Kniende, ist die Kniende, ist die Kniende …

























Die Nachbarstadt Duisburg ist nicht weit und die Ausstellung zu Lehmbrucks „Kniender“ ist gefühlt bereits nah an einem hundert Jahre alten Herzenswunsch.
Parken am Kant-Platz um 11.00 Uhr und dann sind wir nicht die ersten Besucher, die eher betreiberfreundliche Öffnungszeiten ab 12.00 Uhr zur Kenntnis nehmen müssen. Egal.
Die Stadt liegt vor uns, also, rasch noch in die Küppersmühle, dem Museum für aktuelle Kunst vor Ort. Dort ist glücklicherweise schon seit 10.00 Uhr auf. Wunderbar entspannte Räume – toll, die Darboven-Harburg-New York-Nummer. Auf dem Rückweg an Dani Caravans Park und noch mehr vorbei, und ein extremer Regenguss lässt uns die sehr lieben und freundlichen Damen von der Bürgerstiftung Duisburg kennenlernen, die uns zum Trocknen dabehalten und einen Kaffee brühen. Wieso ist man eigentlich nicht öfter in Duisburg? Wir wußten nicht mal, dass es dort eine Stadtmauer gibt ...
Zurück am Lehmbruck-Museum ist es Frau Nicolai die uns einlässt (der Name steht glücklicherweise auf dem Kassenzettel). Sie setzt die Duisburger Riege von freundlichen Menschen an diesem Mittwoch fort.
Schon beim Eintritt ins Museum wird gleich klar, dass in dem, in den 1960er Jahren vom Sohn des Künstlers, Manfred Lehmbruck, entworfenen Bau, andere Betrachtungsbedingungen für Kunst herrschen, als in den meisten „white cube“ orientierten Museen. Hier muss man sich den Blickwinkel unter etwas schwierigeren, weil ungewohnten Rahmenbedingungen suchen. Rechts vom Eingang knubbeln sich die Skulpturen auf relativ engem Raum, unterlegt von schwierigen, grünlichen Sockelfarben, der größte, Foyer-artige Raum des Museums sieht dagegen seltsam leer aus, das zentrale Element des Raums ist nicht die Kniende, sondern die unglückliche Leere vor dem Flügel auf einer flachen Bühne. Möglicherweise ist dieser Zustand, der die Arbeiten Lehmbrucks oder Maillols an die verglaste  Fensterfront drängt, den abendlichen Konzerten geschuldet? Am Fenster zu stehen bedeutet normalerweise gutes, natürliches Licht. In diesem Fall jedoch drängen sich viel zu große Lettern aus roter Schrift – es sind die Namen der von weit herbeigerufenen populären Mitaussteller und Zeitgenossen Lehmbrucks – hinter den Skulpturen ins Auge des Betrachters und hinein in die Empfindung. Ein für die Museums-PR notwendiges Namedropping muss nicht auf Kosten der ausgestellten Arbeiten gehen. Ein wenig zurückhaltende grafische Professionalität bei der Ausgestaltung des größten und damit prägenden Raumes wäre sinnvoll.
Auf die Ausstellung hatte ich mich gefreut, da ich von ihr weitere Einblicke in die gestalterische Welt des Wilhelm Lehmbruck erfahren wollte. Seine Kniende ist mir seit früher Jugend als ein Höhepunkt, aber auch als das Ende der rein figürlichen Skulptur vermittelt worden. Von verschwindenden Anklängen an die Formensprache der Gotik war in meiner Erinnerung gar die Rede. So etwas verblasst gegen die Vorstellung der Knienden als Skulptur der Erneuerung, als eine der Eintrittskarten in den Formenkanon der Moderne. Die Kniende wird wohl beides sein und natürlich rechtfertigt ihre Erscheinung vieles: alle mit ausgestellten Werke großer künstlerischer Zeitgenossen sollen die Bedeutung der Knienden erneut unterstreichen. Die kunsthistorischen Erkenntnisse oder Versuche, die Arbeit sei von den Tänzern seiner Pariser Zeit inspiriert, namentlich von Nijinski und Isadora Duncan, wirken dagegen spröde, sonderbar bemüht. Sie führen zudem zu Endlosschleifen kurzer Duncan-Performances auf Film und uninspiriert wirkenden alten Fotografien von Menschen, die selbst etwas mit Tanz zu tun hatten oder die jemanden kannten der mit Tanz zu tun hatte ..., u.s.w.
Nicht umsonst geblieben ist jedoch mein Versuch, mehr über die Bandbreite des Künstlers in der Duisburger Ausstellung in Erfahrung zu bringen. Man kann leicht feststellen, dass Lehmbruck, trotz seiner gestalterischen Klasse, ein eher schlechter Zeichner war. Sein Strich ist eher unbeholfen, in den zeichnerisch orientierten, aquarelligen Leinwandarbeiten ist er schöner, weich, feminin, zwar oft ohne Hände und Füße, die Mitten betont:  Gesicht, Hals und Brust.
Die in erste Grundformen aufgelösten weiblichen Oberkörper vieler Skulpturen, die halbkugelförmigen Brüste, die kegelhaften Schultern und Oberarme verdeutlichen nicht nur ein ständig wiederholtes, oft beinahe deckungsgleiches Lieblingsmotiv des Künstlers, sie können natürlich als geformte Zeichen der sich anbahnenden, elementar neuen Anschauungen des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts gelesen werden.
Der von diversen starken Materialien und gläsernen Durchblicken geprägte Ausstellungsraum der ständigen Sammlung des Museums dagegen überzeugt schnell, weil er dem Werk Lehmbrucks eine Vielfältigkeit gibt, die man mit der Arbeit des Meidericher Künstlers nicht sofort verbindet - zu dominant ist die Konzentration auf die „Kniende“. Man ist regelrecht erfrischt, ob des Perspektivwechsels bei der Skulptur des auf allen Vieren hockendes Mannes oder des wunderbar lässig modellierten Frauenkopfes.
Das ist schön zu erfahren.
Es ist fraglich, ob eine Anhäufung so vieler Arbeiten so vieler bekannter Kunst-Grössen aus so vielen Museen zum Jubiläumsjahr wirklich notwendig war, gelegentlich erscheinen die Skulpturengruppen dann doch wie kuratorisches Spielzeug. Aber wenn es der Sache und der Forschung dient ...
Eine empfehlenswerte und inspirierende Ausstellung allemal, die – manchmal unbeabsichtigt – viele Dinge hinterfragen und beleuchten kann. Zum Beispiel: liebt man die Kniende lieber in weiß oder in schwarz?
Wir fanden, die weiße Kniende ist sehr überzeugend.
Im Zusammenspiel mit Graffitis sowieso.


carsten reinhold schulz
Der Künstler als Kritiker
Ein freies Kunst und Blogprojekt seit 2009

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