Montag, 7. Juni 2010

Day of song: das Ruhrgebiet als Nordkorea?





















Möglicherweise ist die Überschrift leicht übertrieben. Natürlich kann es schön sein, wenn Menschen aller Generationen zusammen singen. Da entsteht ein gewaltiges Gefühl. Singen ist ja an sich ein befreiendes Unterfangen. Mich erfüllt es ebenfalls mit ganz großen, aber eher merkwürdigen Emotionen, wenn ich bei der Ruhrgebiets-Sing-Zusammenkunft im ausverkauften Stadion den pseudo-solidaristischen Text: „... was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen ...“ und dann gleich als nächste Textzeile: „... nur, wir müssen geduldig sein, dann dauert es nicht mehr lang ...“ hören muss. Da wird mir persönlich speiübel und den politisch Verantwortlichen aller Couleur lacht das Herz, bei soviel medial eingetrichterter Nachsicht. Als nächster Tiefschlag dann der eigentlich geniale aber mittlerweile etwas gutmenschelnde-Quoten-Schwarze Bobby McFerrin. Er darf auf „Let it be.“, bisweilen schwummerig, aber in seiner allseits beliebten Manier ein wenig improvisieren. „Let it be.“ heisst letztendlich: „Schwamm drüber.“ Ein Text, der von mir nicht kommentiert werden muss und den im Stadion alle singen konnten. Glück gehabt, dass das Lied „Die Wacht am Rhein“ nicht mehr zum allgemein bekannten Liedgut gehört. Aus praktischen Erwägungen hätte man möglicherweise auch dieses Singmotiv noch ins Auge gefasst. Kurz bevor ich die Übertragung zur besten Sendezeit ausschalten wollte, erscheint ein hochmotivierter Herr im Anzug und teilt das Stadion in vier Gruppen und alle singen sodann im Kanon: „Hejo, spannt den Wagen an ...“ Endlich wurde also auch der Wunsch nach einer Steigerung des Bruttosozialprodukt direkt musikalisch in Szene gesetzt. Auch dieses Lied wird frenetisch bejubelt und besungen. Nur fehlte, für meinen Geschmack, die schöne Ironie des bekannten Liedes von „Geier Sturzflug“ aus den 1980er Jahren. Jajaja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt. Wer hat die Liedauswahl bei diesem Sing-Sang vorgenommen? Ein Parteienausschuss? Und wieso wird für ein solches Spektakel die allerbeste Sendezet bemüht, wieso taucht man diesen Liedabend nicht – wie die Sendung des philosophischen Quartetts – in die dunklen Sendeschatten nach Mitternacht? Dort werden die wichtigen Fragen und Zusammenhänge dieser Gesellschaft normalerweise besprochen. Der profane Grund dafür ist: ein nordkoreanisch motivierter Singabend ist der leichtere Weg,  die Menschen in Deutschland weiterhin unterschätzen zu dürfen. Nur durch dieses Unterschätzen und Kleinhalten, es wird bezeichnenderweise Unterhaltung genannt, mit sprachlich schwurbelnden Minimalmotiven und Ansätzen aus der musikalischen Larifariküche lässt sich auf breiter Ebene das Eigenbild der politisch Verantwortlichen Gruppen bewahren, sie würden gut für alle sorgen und alle wären zufrieden. Es wird ebenso stetig deutlicher, das die Kulturmacher ihre ehemals freie Rolle längst aufgegeben haben und sich der sozialen Unterdrückung durch Mittelmass und eine monströse Verkennung ihrer veränderten Aufgaben schuldig machen.


Sing it again, Sam.

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