Dienstag, 13. September 2011

Gastautor RO Willaschek: eine Story zum Kunstgeschehen.


  Meister Joseph, ein Adler und der Kölner Dom

   Vor kurzem erst wurde ich auf der Domplatte Zeuge eines seltsamen Ereignisses. Ich befand  mich an einem grauen spätherbstlichen Nachmittag vor dem einschüch­ternden Kölner Dom. Und wie immer, wenn ich vor den 300 000 Tonnen bearbeite­ten Trachyts stand, mußte ich – in ungewohnter Ehrfurcht – diese sakrale Meister­leistung  zutiefst, aber auch ein wenig irritiert bewundern.                            
    Da wurde ich jäh aus meiner Betrachtung aufgeschreckt durch eine pech­schwarze überdimensionierte Staatskarosse, die mit Getöse um die Ecke schoß und mit ent­setzlich quietschenden Reifen abrupt zu stehen kam. Dabei knallte die schlan­genbelederte Schofföse, unschwer als Chesty Morgan auszumachen, ihre über alle Maßen großen Titten gegen die Windschutzscheibe. Sie hielt. Die Scheibe. – Zeit­gleich entstieg dem trüben Himmel ein mannsgroßer goldener Adler und pflanzte sich, laut vernehmbar das „Lied vom Blut“ rezitierend, neben der Ka­rosse auf. Er schwankte leicht und rülpste kurz, wobei er einiges von seiner Würde einbüßte. Offensichtlich teilte er mit Jaques Prévert, dem großen Dichter Frank­reichs, nicht nur  dessen Liebe zur Poesie – wohl auch den Hang zu Alkoholischem.
    Was für ein Auftritt!
    Dessen nicht genug, entstieg der protzigen Limousine – von den Toten auferstanden – Meister Joseph mit Hut. Er verteilte sogleich an einige Pas­santen – mit starrer Mine und pathetischem Habitus – giftgrüne Pamphlete, rosarote Buschröschen und gut gemeinte Ratschläge. Danach ergriff er ohne Übergang den Hals des verdutzten Adlers, würgte ihn und predigte dabei laut­stark von Zeichen und Wundern, die in nächster Zeit das Dasein menschlicher Exis­tenz radikal verändern würden.
   Der Adler schien das alles locker hinzuneh­men, was mich überraschte und auch verwunderte. Nachdem der Meister endlich von ihm abgelassen hatte, torkelte der Vogel noch einmal kurz, um dann umso standhafter – wie eine Deutsche Eiche –, mit stolz gewellter Brust, fest verankert auf der Dom-Platte zu verharren.
   Schließlich öffnete sich schwungvoll das mächtige West-Portal.  Ihm erquoll eine Unmenge stark nach Sandelholz und Weihrauch riechende Masse – wie Schlagsahne – die sich bald über die gesamte Dom-Platte ergoß. Meister Joseph meinte tief ergriffen zu Chesty, dem amerikanisch-polnischen Busenwunder:
                 „Der Meisner masturbiert wieder mal – aber diesmal übertreibt er es
          wirklich. – Mein Gott auch, wie unästhetisch!“
Da rutschte Joseph auf der Sahne aus und schlug sich den Kopf blutig. Dabei flog ihm der heiß geliebte Hut vom Kopf, der von einem plötzlichen Wind ergriffen, auf Nimmerwiedersehen in Richtung Hohe Straße verschwand.
   „Strafe muss sein!“ Meinte Josefs Schofföse mit polnischem Akzent und lachte sich dabei halbtot.
    Das Volk auf dem Platz tobte vor Begeisterung und jubelte mehrere Halleluja.
    Die enorme Ansammlung von Neugierigen, die sich – von mir unbemerkt – klammheim­lich auf dem Domvorplatz einfand, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als eine beachtliche Anhäufung feinstgekleideter Personen, Hände klatschend und kniehoch in der Kardinal-Brühe ste­hend, - sämtlich als Kunstkenner und -Sammler, Kulturdezernenten, Galeristen, Mu­seums -Heinis, Verleger, Intendanten, Kritiker, Kultur-Beamten und dergleichen leicht auszumachen. Die komplette Kultur -Schickeria Kölns war vollzählig anwesend.
    Es fehlten seltsamerweise die Künstler … Sie glänzten dieses Mal durch
Abwesenheit … irgendetwas war hier in Köln passiert, was mir als stiller Beobachter der Kunstszene entgangen sein mußte.
    Wo waren sie hin? Wieso zeigten sich die Herrschaften ohne ihre Hausnarren und  Schoßhündchen?
    … Mir war ein wenig zum Kotzen.
    Das war schließlich auch dem großen goldenen Raubvogel zu bizarr und auch zu viel des Guten. Er grinste nur noch kurz irritiert – und zeitgleich mit Meister Josef plus Frau Morgan machte er sich hinweg aus Köln.

    Es war schon ein gewaltiger Anblick, wie er seine Schwingen majestätisch bewegte und am Himmel immer kleiner wurde, bis man ihn nicht mehr sah.
    In Köln ließ sich der Adler, wie Josef B. plus Anhang im Übrigen auch, verständlicherweise nie wie­der blicken; was ich persönlich bedauere, aber zutiefst nachvollziehen kann.
    Da­bei weiß ich immer noch nichts Genaueres über das Phänomen des bis heute an­dauernden kompletten Wegbleibens der Künstler aus Köln. Interessant ist aber der Umstand, daß es bis zum heutigen Tag noch Keinem aufzufallen schien.


Text © RO Willaschek 1995 | 2003

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