Drift, Übergriff, Kritik. Ein offenes Kunstprojekt von Carsten Reinhold Schulz
Samstag, 6. Februar 2016
Gerhard Richter-Letzte Ausfahrt Birkenau.
Der Künstler Gerhard Richter hat über viele Jahre geschickt den künstlerischen Konsens erfolgreich und einigermaßen unangreifbar bespielt. Er gilt im Markt und bei vielen Menschen als einer der größten bildenden Künstler überhaupt – als Argument dafür gelten mittlerweile sogar die Preise im Kunst-Markt ... Wer, wenn nicht er, wäre geeigneter ein Bildwerk anzugehen, daß mit dem markanten Titel „Birkenau“, nicht nur die ekelhafteste Phase deutscher Politik in Erinnerung ruft, sondern in erster Linie die Massenvernichtung der Juden und vieler anderer Menschen durch den ideologischen Rassen- und Größenwahn des Nationalsozialisten Adolf Hitler. Alleine der letzte Satz macht das Problem deutlich, das Künstler heute haben, wagen Sie sich mit ihren Arbeiten an Sujets oder Titel die eine gesellschaftliche Relevanz epochaler Größe und Leiden ausstrahlen.
Gerhard Richter musste scheitern.
Das wußte jeder, warum nicht er? Malerei kann derzeit keine Bearbeitung eines solchen Themas leisten. Es sei denn, es reicht dem Maler ein Werk als dünner, medialer Hinweis auf die unerhörten Empfindungen und ein nicht zu entschuldigendes Verbrechen jenseits aller Menschlichkeit. Das malerische Werk also als „link“ zum Thema? Hat er seine Kunst schon immer so eingeschätzt? Wenn nicht, warum jetzt?
Denn, ein link ist in diesem Kontext eindeutig zu wenig – solches kann auch eine Fernsehsendung, eine dokumentarische Fotografie, ein Interview oder alles andere leisten.
Warum also Malerei und warum Gerhard Richter?
Ersteinmal natürlich, weil er es kann. Und, weil er für ein solches Unterfangen die nötige Medienwirksamkeit zu erlangen in der Lage ist, ein Umstand der zumindest eine notwendige Kontroverse vortäuschen kann. Kein halbwegs sensibler Künstler möchte nur aufgrund seines Status einfach durchgewunken werden, wenn er sich an große Themen wagt. Die strategisch ausgerichtete Experimentierfreude kann man Richter sicherlich auch in diesem Punkt nicht vorwerfen.
Letztendlich ist die versuchte künstlerische Verarbeitung des Themas Birkenau eine eher schlichte Fortsetzung aller auch bisher durchgesetzten Arbeit Richters, die sich zwischen den Polen handwerklicher Größe und Selbstbespiegelung der Gesellschaft bewegte. Eine eigene Position des Künstlers wird von jeher vielleicht vermisst, dies ist jedoch gewollt – Bedingung einer unangreifbaren ästhetischen Erfahrung für die einen, marktfähiger Taschenspielertrick für die anderen.
Bei der Bearbeitung der Birkenau genannten Arbeit(en) wird deutlich, dass diesem Zeitgeschehen, bestenfalls ansatzweise, durch eine eigene, persönliche, emotionale Position beizukommen ist. Dem könnte man folgen. Niemals folgt man jedoch einem konsenstragenden malerischen Duktus oder einer vermeintlich der Sonnenfarben beraubten Palette (RP).
Birkenau wird Waterloo
Birkenau wird für Gerhard Richter ein vorläufiger Endpunkt sein, vielleicht ein Waterloo, wenn man so will. Er legt mit diesem Bild, vermutlich unbewußt, seine gesamte Methodik offen und scheitert damit an der schieren Größe des Themas gegenüber seinen, aller Wechselhaftigkeit zum Trotz, linearen Möglichkeiten.
Verantwortlichkeit.
Er scheitert auch an etwas, das jeder Kunststudent ab dem ersten Semester heutzutage ahnt: die Rolle des Künstlers hat sich längst verschoben, die Verortung des bisherigen Künstlerbildes ist obsolet geworden, Verantwortlichkeit ist nicht mehr in bisherigen Werkbegriffen oder Arbeitsprozessen zu finden.
Der künstlerische Weg Richters führte bisher über viele geschichtliche und aktuelle Themen, die er mittels geschickter ästhetischer Zuordnung in eine eher scheinbare, aber letztlich nutzbare künstlerische Relevanz übertrug.
An etlichen Reaktionen, z.B. auf das von ihm gestaltete Fenster im Kölner Dom, wurde die Klippe der, warum auch immer, innovationsbehafteten „reinen Ästhetik“ bereits spürbar.
Bei Birkenau wird die Bildfindung jetzt allerdings offensichtlich grotesk illustrativ und die Erklärungsversuche des Feuilleton unangenehm dünn.
Sammler wie Frieder Burda
u.v.a. und der mit der bisherigen Arbeit Gerhard Richters erreichte marktorientierte Konsens bewahren jedoch vor berechtigter Kritik und notwendiger Selbstkritik. So verhindert ein reaktionär-konservatives Business jedes Einsehen, das uns alle in die Lage versetzen könnte, bald wieder zu Kunstformen zu gelangen, die über mehr selbstverständliche gesellschaftliche Relevanz und Kraft verfügen.
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