Macht Geschmack satt? |
Ein doppeltes Spiel treibt der, welcher zwei oder mehr Anschauungen gleichzeitig dient. Der Geschmack und die Kunst sind von jeher dankbare Felder, um kompliziertere Spielformen des Lebens zu begleiten. Ob Johan Holten als Leiter der Kunsthalle sich über Kunst lustig machen will, wie in der Monopol behauptet, kann man schwerlich beurteilen. Im Zweifel für den Angeklagten. Kunstformen nach ihrem Geschmacksbild ausforschen zu wollen, den Kunstmarkt angeblich zu hinterfragen und genau diesen Markt mit allen zur Verfügung stehenden Klischees zu bedienen, ist erstmal ein vielschichtiges Vorhaben und bezeugt vorzüglich die intellektuellen Möglichkeiten und Kontakte über die Holten für sein erste Präsentation offensichtlich verfügt. Aber natürlich ist sie eine zynische Haltung, weil sie alles Erwähnte gleichzeitig tut. Sie will sich nicht festlegen und will jede Haltung vermeiden, sie will nur untersuchen ... Ohne Haltung zu sein bringt einen heutzutage vermutlich persönlich weiter, reduziert in diesem Fall jedoch alles auf ein intellektualisiertes Spiel mit dem üblichen Muster des Namedropping. Heute stellt die relevanten Fragen offensichtlich der Kunstraum, die Antworten soll der Künstler mitbringen. Es sollte besser andersherum sein, dann wird man den Funktionen gerechter, scheint mir. Dann erhält man allerdings auch Verantwortung und die erzwingt ärgerlicherweise wieder eine Haltung. Um so deutlicher zeigt sich das Dilemma, in der sich gerade Ausstellungshäuser mit einem zu verteidigenden Ruf des Aktuellen befinden. Der zu vollbringende Spagat, gleichzeit am Kunstdiskurs teilzunehmen, und dennoch genug große Namen zu präsentieren, um die Kassen zu füllen, lässt eine gruselige Lücke im spannenden Experiment – die jede Ausstellung bedeuten kann – zurück. Diese Lücke entsteht auch, wenn sich Ausstellungen um bereits gelöste Aufgaben drehen. Hits die schon zweimal unter den TopTen gelistet wurden, Witze die zu oft erzählt wurden. Die Top 40-Leier. Der Geschmack als Gesprächinhalt. Vielleicht macht sich Herr Holten doch über uns lustig? Ein Beispiel: wer die gut 25 Jahre alten Grafiken von „Join the free and fat society “ von Tomi Ungerer gesehen hat (und ich nutze bewußt einen satirisch arbeitenden Künstler im sogenannten Grenzgebiet von Kunst), was soll so jemand mit den Schnappschüssen eines Martin Parr noch machen, außer müde lächeln? Daß sie im Kunstumfeld überhaupt auftauchen überrascht. Einen sinnvollen Platz hätten die Bilder in der Bunten.
Ein Spruch von Iggy Pop dämmert ebenfalls aus populärer Vergangenheit herauf: „ ... die Leute wollten mein Arschloch sehen, also haben ich Ihnen mein Arschloch gezeigt, dann kam der Erfolg.“ Sind das schon die ewigen Werte die Kunst uns jetzt vermittelt oder kommen sie noch? Die auftretenden, aus heutiger Sicht das zerstörerische Projekt des Kapitalismus verfestigende Positionen von Immer-noch-Ikonen wie Warhol und seinen aufgebratenen Sprösslingen Meckseper, Tiehai oder Reyhle, sind der Führungsriege der Kunsthalle vermutlich selber etwas dünn vorgekommen, so daß sie diesen Vertretern lieber noch einen Feuerbach oder Schirmer an die Seite stellten (Henkel, da weiss man was man hat ...). Gerne wird von den Ausstellungsmachern übersehen, das sie die Ausstellungsobjekte in Wirklichkeit garnicht mehr zur Disposition in die Öffentlichkeit stellen können, sondern auch fadenscheinige Positionen durch Aufnahme in jedwede Ausstellung nochmals festgezurrt werden. Übrigens ebenfalls ein Erfolg des heutigen Systems Kunstmarkt. Das Thema Geschmack ist zudem so gut wie unangreifbar, jede Kritik wirkt selbst fad und geschmäcklerisch. Nicht umsonst wird auf der Homepage der Kunsthalle Baden-Baden unter der Rubrik „Fulminanter Auftakt“ eigentlich nur die Menge an Presseberichten gefeiert.
Der gute, der schlechte und der teure Geschmack. Johan Holten hat sich aus allem höchst geschmackvoll herausgehalten.
Gratulation zu einer super Idee.
Kunsthalle Baden-Baden und der Geschmack