Montag, 24. Oktober 2011

„Nie wieder störungsfrei“. Das Ludwig Forum.





































    Es ist ein beeindruckender Titel, den das Aachener Forum Ludwig zu Recht vor sich hertragen darf. Somit zeigt das erste deutsche Museum für aktuelle Kunst zum Abschluss seiner Jubiläumspräsentationen schlüssig seinen eigenen Beginn. Die riesige Sammlung des Sammlerpaars Ludwig ist mit der allerorten gerne beschworenen Aufbruchstimmung der 1960er Jahre in Aachen eng verbunden und hat dort gerne Ihren Ursprung. Der hochaktuelle, animierende Satz Ludwigs, das Museen stets „ohne Furcht“ agieren sollten, wurde bei der Eröffnungsrede von Stadtdirektor Wolfgang Rombey zitiert und konnte in Zeiten kultureller Ziellosigkeit der öffentlichen Hand ein wenig der alten Hoffnung in die Gesichter der zahlreich anwesenden Gäste und Zeitzeugen zwingen.
Die sehr breit gefasste, beinahe wild gemischte Ausstellung kann schon beim ersten Durchschlendern der Räume mit etlichen interessanten und überzeugenden Einzelarbeiten auffallen. Rosenquist, Ramos, Filliou und Spoerri, irgendwie sind wir ja alle mal Avantgarde.
Die Mischung der Werke zeigt jedoch präziser worum es in der Schau geht, als es das Bild der Einladungskarte mit einem entwaffnend blutenden und zielstrebig blickenden Beuys vermag.
Denn nur der Ausstellungstitel „Nie wieder störungsfrei“ verweist deutlich auf eine kulturelle Zäsur, die in der Kunstentwicklung der vorgestellten Jahre stattgefunden haben soll. Nicht jede einzelne Arbeit lässt sich da zwangsläufig einordnen. Muss ja auch nicht. Vor allem wird eine Sammlung zur Begutachtung freigegeben, die sehr umfangreich ist.

    Störungen, vergangene Revolutionen und ihre Gesten sind nicht ohne Grund mit dem Nimbus des Traurigen behaftet. Dieses intensive Gefühl kann den Betrachter tatsächlich erreichen. Starke Emotionen gehen jedoch von den ausgestellten Arbeiten selbst nicht unbedingt aus –vielleicht muss man dazu dabei gewesen sein. Beinahe putzig-hoffnungsfroh, naiv-bemüht empfindet man jetzt einige der Relikte, Kunstobjekte oder Filme, die vor gut einem halben Jahrhundert noch für wilde Furore gesorgt haben sollen. Die Sammlung verfügt dabei über genügend nützliche Exponate, um den Eindruck des zu theoretischen oder zu Video-lastigen, z.B. durch die Hängung eines enomermen Gemäldes auflockernd malerisch zu flankieren oder durch eine flackernde Jenny Holzer im Monumentalen zu bespielen.
    Es wird gar nicht erst versucht, die alte Stimmung beschwörend wieder herzustellen: der zentrale, etwas abgesenkte große Raum, wirkt wie eine Mischung aus selbstgebauter Art Cologne und stylischer Flughafen-Lounge: eingebettet in weißen, elegant wirkenden Sofa-Inseln schaut man Filme wie Zuhause, in denen sich auf flachen Monitoren Menschen in etwas wälzen, das tatsächlich aussieht wie Kuchen. Flüchtige Bilder süßer, aber vergangener Exzentrik? Dokumente sozialer Umwälzungen oder die beginnende Gleichberechtigung der Geschlechter? Nach persönlichen Gesprächen mit Künstlern aus der Zeit darf man sich nicht sicher sein, ob nicht gerade die -60er und -70er Jahre, für die Unterdrückung der Künstlerinnen durch ihre männlichen Kollegen beispielhafte Zeiten waren.
Der eher neutralen Form des architektonischen Ausstellungskonzeptes widersprechen herumliegende, frisch fotokopierte Exemplare der Kunstzeitung „Gegenverkehr“ aus den 1960er Jahren und die zahlreichen Sitzsäcke. Im besten Fall gefühlsbetonende, zeitbezogene Reminiszenzen: die berüchtigten Design-Zitate.
    Die während der Eröffnung laufende Aktion der Taschenkontrollen mit der Markenklebung „O.K.“ am Revers und das fingierte Registrierungsbüro liefen allerdings der Zeit hinterher. Diese Aktion war ein schönes Beispiel für ein gern fehlinterpretiertes Verständnis von politischer Kunst heute – oder war es die Wiederbelebung einer alten Aktion, oder war es gar Realität? Es macht eigentlich keinen Unterschied.

    So wird das aktuelle Museum zu einem sentimentalen Ort, bei dem man vor allem versteht, das die außerhalb des Musealen sich entwickelnden sozialen und politischen „Happenings“ und Aktionen des 21.Jahrunderts, wie die des „occupy wallstreet“ oder des näher liegenden „occupy Düsseldorf“– trotz des Aufrufs zum Museum ohne Furcht – noch nicht als künstlerische Stimme wahrgenommen werden können. Heute sitzt der junge Aufbruch in kalten Zelten und entwickelt dort neue Formen der sozialen Kraft über selbstgemalte Poster. Draußen begehrt die Jugend auf gegen einen wegwerfenden Finanzbegriff und im Museum feiert man sich und einen fünfzig Jahre alten Aufbruch mit bemerkenswert klein gewordenen menschlichen Utopien. Ist es nicht die Generation der Sechziger die jetzt an den Schalthebeln der Macht und des Kulturapperates sitzt? Wo bleibt die Haltung des Aufbruchs dort? Im Pressetext erwähnte aktuelle Bezüge aus dieser Perspektive sucht man in den angekündigten neueren Arbeiten tatsächlich vergebens.

    Aus rein musealer oder didaktischer Sicht ist „Nie wieder Störungsfrei“ sicherlich eine sehenswerte Leistungsschau. Keine Frage: es gibt viele Arbeiten zu sehen, die richtig Freude machen und nicht nur als Erinnerungsstücke funktionieren können. Beeindruckend: Suzan Pitts Asparagus Theatre. Nice to have you back: die wieder aktive Grand Dame der Aktionskunst Chris Reinecke, die zumindest so mutig war eine neue Arbeit zwischen die alten zu hängen, die tollen wegweisenden Sachen von Peter Brüning, die unglaublich frischen Bilder d’Archangelos
Sieht man ja alles nicht so oft.
Auch nicht den besonders seltsam anmutenden kleinen Raum mit Grafik von Robert Stanley, der erst ab einem Alter von 18 Jahren betreten werden darf. Es war zu erleben, daß einige bunte grafische Umsetzungen von sexuellen Handlungen noch heututage zu einem hektischen Zuziehen der Vorhänge durch das Aufsichtspersonal des Museums führen. Eigenartig in einer Zeit, in der zwölfjährige Kinder Hardcorefilme auf Ihren Mobiltelefonen untereinander tauschen. Ist auch das eine Folge des Aufbruchs der 1960er Jahre?
Das Aachener Forum Ludwig hat eine schöne Schau im eigenen Haus produziert und dazu einen überaus sehenswerten Katalog gestaltet.
Ein gewonnenes Heimspiel.



NIE WIEDER STÖRUNGSFREI
Ludwig Forum Aachen
Aachen Avantgarde seit 1964
22.10.-05.02.2012



text und foto ©crschulz, duesseldorf 2011

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