Drift, Übergriff, Kritik. Ein offenes Kunstprojekt von Carsten Reinhold Schulz
Dienstag, 24. August 2010
Christoph Schlingensief und die Überschrift.
Leider habe ich Christoph Schlingensief nie persönlich kennengelernt. Einmal habe ich ihn über sein Büro eingeladen, um seine Bilder ausstellen zu können. Es kann wichtig sein, wenn Menschen plötzlich malen und sich in viele Richtungen verausgaben wollen. Leider hat ein Treffen nie geklappt. Also muss ich jetzt über den medial präsenten Christoph Schlingensief nachdenken, er ist es der mir bleibt, wenn ich seine Nachrufe lese. Der Medien-Schlingensief. Welche Rolle hat er in diesem Umfeld zugewiesen bekommen? Zuerst erlebt habe ich seine kulturelle Präsenz mit Filmen wie dem „Deutschen Kettensägen-Massaker“ und zwar nicht mit speziellen Inhalten seines Regiewerks, das ich bis heute nur in Ausschnitten angeschaut habe, sondern vornehmlich über die Titel seiner Filme und Arbeiten. Aus ihnen sprach hoffentlich die Kraft des Anderen und des schrillen Dunklen, dem man sonst nur in Death-Metal Musik nachspüren konnte. In dieser Intensität wollte er offenbar als Künstler wahrgenommen sein. Ganz stark war er in der Entwicklung intensiver Textbausteine, wie „Scheitern als Chance“ und scheinbar übergriffiger Aktionen, wie „Tötet Helmut Kohl“. Diese Aktionen waren reiner Prozess, eher wie Musik, fast ein lebendiges Paradoxon, ein temporär angelegtes Spiel mit den blosszulegenden Widrigkeiten heutiger Realitäten. Kunst spielte da endlich keine Rolle mehr. Sie ist in diesem Sinne auch nicht sein Arbeitsfeld gewesen, wie es bei Joseph Beuys noch bewußt artikuliert worden war. Christoph Schlingensief hat meiner Meinung nach die reflektorischen und beeinflussenden Möglichkeiten des Menschen weitestgehendst so ausgefüllt, wie es ein Künstler heute verstehen kann. Er war dabei eher zufälligerweise Regisseur, oder eben irgendetwas anderes. Und es gibt tatsächlich viele Menschen und auch Künstler, die in dieser Weise arbeiten, nur ist selbst das Feuilleton der SZ nicht wirklich in der Lage mit einer so schubladenfernen Situation umzugehen ... sie ist in ihrer Komplexität schwierig darzustellen. Aber auch Frau Jelinek hat natürlich Recht, wenn Sie in der Totalen erkennt, das Schlingensief einzig war, weil das natürlich jeder Mensch ist. Dazu Chapeau.
Interessant ist, das Christoph Schlingensief eigentlich der einzige künstlerisch arbeitende Mensch war, der in den Medien die Rolle des sozial und politisch motivierten und mit extra wirren Haaren versehenen revolutionären Outlaws geben durfte. Nein, Herr Meese passt da jetzt nicht ... Er musste bei aller Anti-Anti Geste irgendwie trotzdem in die bigotte und zumeist reaktionäre Kulturlandschaft passen. Leider ist immer nur eine solche Rolle pro Generation zu vergeben und er hat verständlicherweise versucht sie sehr breit gefächert auszufüllen. Nur ein echter Revolutionär konnte er irgendwann nicht mehr werden, das schliesst eine derart leuchtende Präsenz in den bundesrepublikanischen Fernsehanstalten nun doch aus. Es bleibt die Rolle des angenehm überdrehten Mahners (ein schreckliches Wort), der sich mit Ironie, Witz, Spott, Pathos und der Hinwendung zu Skurillem und wiedererkennbaren kunst- und geistesgeschichtlichen Bezügen abstrampelt. Die am Ende seines Lebens präsenter werdende Malerei scheint das einzige zu sein, das eine eher überflüssige Stabilität in der Form eines tradierten Kunstproduktes aufweist. Alles gehörte bei Schlingensief eigentlich in die Bewegung. Dies gilt es zu bewundern und zu verstehen. Seine Titel werden für mich immer das Grösste bleiben: „Kirche der Angst“. Er war ein Meister emotionaler Vollständigkeit.
Nun bekommt man eine Gänsehaut vor all der Bürgerlichkeit, aus der er zwar gekommen ist, die ihn jetzt wieder – mitsamt seiner Arbeit – in die einschliessenden Arme nehmen möchte.
Vermutlich ist das eben ihre Art ein Werk zu beenden. Es ist ungerecht. Verdammt.
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