Donnerstag, 3. November 2011

Kultur und Terrorismusbekämpfung: ein Schadensfall.
























  


Aus kulturell interessierter Sicht gibt es gute Gründe, auf die schleichend anmutende Einengung der vom Grundgesetz als unantastbar klassifizierten Begriffe der freien Meinungsäußerung näher einzugehen. Die im Internet vielfach anzutreffenden, eher zweifelhaften Elaborate zum soeben erneuerten Terror-Bekämpfungs-Ergänzungs-Gesetz, z.B. in Diskussionsforen rechter Nationalisten wie auch in denen linker Verschwörungstheoretiker, sollten nicht davon abhalten, die Stimme als Demokrat kritisch zu erheben.
Gegen ein Klima beginnender Angst
Die Vorstellung, das weitgehend unkontrolliert, bisher strikt von der Exekutive getrennte Geheimdienste durch neue Befugnisse Möglichkeiten einer Geheimpolizei erhalten könnten, dürfte für Bürger ebenso beunruhigend sein, wie es für den Freiburger Staatsrechtler Ralf Poscher der ominöse Begriff des „Aufstachelns“ ist. Im Regierungsentwurf soll es durch diese Wortfindung möglich sein, kritische journalistische Äußerungen, wie es das einfache Befürworten einer Sitzblockade in einem Artikel oder Blog sein könnte, zu erfassen und damit faktisch zu kriminalisieren. Selbst wenn sich vorerst keine direkten Strafen ergeben, schaffen solche Formen der Kontrolle ein beginnendes Klima der Angst. Wer das Rückgrat der meisten Menschen einmal aus eigener Anschauung heraus kennengelernt hat, dem dürfte klar sein, welche rigiden Formen gesellschaftlicher Selbstkontrolle mit Angst zu erreichen sind.
Da kann es niemanden beruhigen, dass die Regierung einen weisen Umgang mit dem Gesetz anmahnt. 
Es gibt keine harmlose Unterdrückung
Gerade für Deutsche dürften die 1933 plakatierten Thesen zur infamen „Sammlung des zersetzenden Schrifttums“, anklingen. Dort stand geschrieben, heute eigentlich undenkbar: „Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter.“ Sollte in Zukunft das positive Bewerten von Sitzblockaden wieder ein verräterischer Akt gegen Deutschland sein? Vergleiche wie diese können verdeutlichen, wie dünn die Grenze zur Kulturlosigkeit ist. Wie wir alle wissen könnten, waren die Folgen der Thesen nicht nur das Schweigen freier Kunst, sondern eine Flut kulturschaffender Exilanten und der Horror rechter Nazihorden. 
Sobald man beginnt Kontrolle über die Denk-, Meinungs- oder Anschauungsprozesse von Menschen erhalten zu wollen, beginnt der Prozess der Unterdrückung, ja, der versuchten Unterwerfung. Dass heutzutage in demokratische Findungsprozesse eingebundene, harmlos wirkende Veränderungsabsichten als Salamitaktik daherkommen, kann nicht mehr wundern. Genau für diese Technik der Verschleierung haben japanische Behörden, die sich bis heute alle Mühe geben den Skandal von Fukushima zu vertuschen, einen internationalen Preis für herausragende öffentliche Berichterstattung erhalten ...  
Solidarität gegen Kulturlosigkeit
Einer Äquivalenz folgend, wird man bei den im erweiterten TBE-Gesetz angedeuteten Aushöhlungen von Grundrechten, an die notstandsähnlichen Zustände während der innerdeutschen Terrorismusbekämpfung in den 1970er Jahren erinnert. Sie führte zu kräftiger Aufrüstung in den Waffenarsenalen der Polizeikräfte und den Organen der inneren Sicherheit. Dieses, damals vom Terrorismus gewünschte Verhalten des Staates, wurde mit seiner Entlarvung als militaristischem Unrechtsstaat gleichgesetzt: ein Teufelskreis entstand. Der Effekt tritt seit geraumer Zeit praktisch deckungsgleich im „Nach-Nine-Eleven“ Zeitalter ein.
Jedes, die ­­Grundrechte einschränkende Gesetz, spielt demnach den Falken im Staat, den Extremisten und Kulturlosen in die Hände. Gesetze nämlich, zur Verhinderung von Straftaten gegen Demokratien, sind selbstverständlich notwendig. Das kann von niemandem bestritten werden, der den fünften Artikel des Grundgesetzes jemals gelesen hat. Das Recht der freien Lehre gerät auch dort an Grenzen, wo sie den Boden des Verfassungsmäßigen verlässt.
Sobald Regierungen jedoch beginnen, Grundrechte in Abrede zu stellen, um mit solchem Reglement angeblich die Freiheiten der Demokratie zu schützen, ist nicht nur starke Vorsicht geboten: dann ist bereits die Solidarität der Menschen gefordert. Eine menschliche Solidarität, die sich gegen Anfänge sich durchsetzender Kulturlosigkeit wehren kann. 
Zwischen Reaktion und kultureller Bewegung
Politik setzt die erschaffenen Maßstäbe der menschlichen Freiheiten, Rechte und Pflichten formal ein und garantiert sie. Sie darf auf keinen Fall, demokratische Auseinandersetzungen oder Entwicklungen gegen die Demokratie selbst richten. Das nannte man früher wie heute reaktionär. Damit steht sie Entwicklungen der Zukunft und der Kultur feindlich gegenüber. Es deutet zudem auf ein eingetretenes Verständnisproblem bei Volk und Regierung hin, die damit begonnen zu haben scheint, sich als Machtapparat vom Souverän zu entfernen. Zugesicherte Menschenrechte und Freiheiten, wie die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst, werden mit den erneut vorgelegten und erweiterten Gesetzen zur Terrorbekämpfung und den entsprechenden gesetzlichen Begleittexten, durch eine undurchsichtig bis teildemokratisch agierende Bundesregierung in Frage gestellt. So sind jene bereits erwähnten, die Gesetzesverlängerung begleitenden kryptischen Äußerungen zum Thema „Aufstacheln“ gegen den Staat bestimmt nicht geeignet das Vertrauen in unsere Regierungen zu revitalisieren. Ebenso wenig machen unter den Teppich gekehrte Entdeckungen über das Gremium der sogenannten „Neun“, das offenbar von niemandem legitimierte Entscheidungsbefugnisse besessen hat, wirklich Mut. Auch wenn das Geheimgremium dankenswerterweise soeben vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wurde. Wer denkt sich so etwas gefährliches aus und kommt damit durch? Damit eine Demokratie funktionieren kann, darf sie – man traut sich kaum es zu sagen – nicht einmal kurzfristig außer Kraft gesetzt werden. An diesem Punkt scheidet uns offenbar die Macht die wir riefen.
Kontrollwahn als Ratlosigkeit der Macht
Die Liste der Länder, die in Zeiten unsicherer politischer Machtverhältnisse, über den Weg der Einschränkung und Manipulation meinungsoffener Kultur, nach neuer Stabilität streben, dürfte lang sein. So zeigen sich derzeit in Ungarn merkwürdige Verflechtungen von nationaler Überheblichkeit und einer ebenso interpretierten Freiheit der Meinung und der Kunst. Aus ähnlichem Holz geschnitzt sind die vor einigen Jahren nachgewiesenen Eingriffe der US Regierung, die gegen Zahlungen von Millionenbeträgen mit redaktionellen Berichten in irakischen Zeitungen die Öffentlichkeit lenken wollten. Wir denken mit Unbehagen an die Verwicklungen der Murdoch-Presse mit dem Regierungsviertel Londons oder die Verheiratung Italiens mit der Presse durch Berlusconi. Angstvoll blickt man nach Russland, wo mutige Journalisten von stillen Kräften nicht nur mundtot gemacht werden. Selbstverständlich zeigen solche Sachverhalte und die überregulierenden Gesetzgebungen eine gewisse Ratlosigkeit der Macht. Sie hat dazu geführt, den Souverän selbst als ein mögliches Problem anzusehen. Dies ist die eigentliche Crux. Nach fünfzig Jahren überbordender deutscher Gesetzgebung für alle Fälle, ist für die neuen Technokraten der Demokratie vermutlich kaum noch vorstellbar, das nur eine Hinwendung zu den Wünschen der Menschen und die unbedingte Durchsetzung einer nachvollziehbaren, offenen Demokratie, Perspektive und Gebot der Stunde sein kann. Auf keinen Fall ist es die weitere Einschränkung der Menschheit durch immer engmaschigere, alle Eventualitäten einschließende Gesetzesvorgaben.
Es muss weiterhin möglich sein, einen Staat, der sich von seinen demokratischen Grundsätzen entfernt, als einen solchen zu bezeichnen.
Das gilt für die Kunst, das gilt für die Presse und für jeden einzelnen Menschen sowieso. Gesellschaftliche, kritische Auseinandersetzungen bleiben demokratische Notwendigkeiten und dürfen nicht einem angstvollen Kontrollwahn geopfert werden. 


Carsten Reinhold Schulz, Düsseldorf
Das zweite Feld der Kunst

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