Lesen mit Hut und schönem Licht. (Foto © Carsten Reinhold Schulz, 2010) |
Ein Vorlese-Fest ist phantastisch. Ich habe bestimmt nichts daran auszusetzen. Erfunden wurde es, um Lust aufs Lesen zu machen und damit diejenigen zu erreichen und in möglichst große Bildungsnähe zu rücken, die ansonsten keine solche Förderung erhalten können. Dieser Ansatz wird umgesetzt durch ehrenamtliche Vorlese-Paten, die in Kindergärten, Schulen, Kindertagesstätten oder Büchereien zumeist Kindern vorlesen sollen. Solch ein Pate wollte ich gern werden. Beim Vorlesetag 2011 in Düsseldorf.
Da meine eigenen Kinder in der Pubertät sind und mittlerweile eher selten nach ihrem Vater als Vorleser rufen, habe ich mich entschlossen einem Zeitungsaufruf der „www.leseban.de“ zu folgen. Eine Kindertagesstätte in Düsseldorf-Bilk wurde mir zugewiesen, der Kontakt angebahnt, eine Zeit ausgemacht. Die stellvertretende Kitaleitung empfahl das Vorlesen von Märchen, die ich mir selbst aussuchen sollte und nach einigen Fotokopien und Lesetests in meinem Büro, bezüglich der Dauer des Lesens, war ich bereit in zwei Kinder-Gruppen zu lesen. Jeweils eine halbe Stunde vor Kindern, die bekanntlich eine der schwierigsten, aber auch dankbarsten Zuhörergruppen darstellen.
Die erste Gruppe war schlichtweg eine Katastrophe, plötzlich auftauchende, gefühlt Zweijährige, frisch mit Adrenalin aus dem Gymnastikraum versorgt, sangen und riefen und spielten, alle ruhigen Kinder hatten keine Chance zuzuhören, meine hilflosen pädagogischen Versuche unterbrachen eigentlich nur das Lesen selbst und zerstörten die Konzentrationsversuche der sechs bis sieben Kinder, die sich auf das Vorlesen gefreut hatten. Keine Fachkräfte in Sicht – sie waren vermutlich froh durch den Vorleser mal ein bisschen Ruhe geniessen zu können.
Mein durchaus engagiertes Vorlesen (ich habe ein wenig professionelle Erfahrung darin) mußte ich nach zwanzig Minuten leider abbrechen. Ich konnte mich selbst nicht mehr verstehen. Vielleicht war zusätzlich der Text zu lang oder Andersen Märchen gehen gar nicht. Die Zuhörer-Kinder waren von den Lärm-Kindern entnervt, schrien und balgten sich aus Frust, ließen die kleinen Fäuste sprechen. Die erste Gruppe war insgesamt deprimierend.
Die zweite Gruppe, eine Etage weiter oben, war das genaue Gegenteil dieser Erfahrung. Keines der Kinder hier hatte Salzsäure gegessen, nein, sie saßen entspannt im Kreis und hörten sich mein Scheeweisschen und Rosenrot bis zum glänzenden Ende an. Einige lachten sich schlapp, als ich dem besonders bösartigen Zwerg eine verzerrte Stimme lieh und alle zeigten die verständliche Genugtuung über den Ausgang der Verwunschenheit. Das zu sehen hat logischerweise Freude gemacht. Es ist ein schönes Geschenk.
Im Gespräch mit der sehr netten KiTa Leitung stellte sich später heraus, daß sowieso eine Vorleserin regelmäßig die Einrichtung besucht und eigentlich kein Engpass an Leseaktionen zu verzeichnen war. Ich dachte eigentlich, Kinder denen kaum vorgelesen wird, erhalten durch den Vorlesetag einen neuen oder gar ersten Zugang zu passender Lektüre? Weit gefehlt. Das Programmheft wies zumeist offenbar prominente Vorleser und die Präsentation ihrer eigenen Bücher aus, die üblichen Schriftsteller des Umkreises hatten ihr Forum, die Büchereien auch und der türkische Konsul ließ es sich nicht nehmen etwas für den Nachwuchs vorzulesen. Das sieht politisch sogar besser aus, als Kinder auf den Arm zu nehmen. Die nette Frau Grimmepreis Westermann von WDR „Zimmer frei“ las aus ihren Büchern vor, die städtische Unternehmerschaft hatte als Initiatorin des Vorlesefestes dazu, zu eindringlichen bis eigentümlichen Selbstdarstellungen lokaler Autoren und zu spätem Fingerfood ins Hotel Maritim geladen. Alles wirkte wunderbar vertraut. Was habe ich medial später noch vom Lesefest gehört? Ein Werbebüro aus Frankfurt, oder war es Stuttgart, konnte eine von seinem Büro entwickelte Lesebox im Rathaus installieren, um damit für sich und – natürlich – die Kinderförderung und das Lesefest zu werben. Der Hinweis auf die Serienreife der Box fehlte meines Wissens nicht. Tue Gutes und lass davon sprechen. Das ist überall Usus. Daran ist wohl nichts auszusetzen.
Als Lesender hätte ich gerne einige Erfahrungen ausgetauscht mit anderen Vorlesepaten.
Eine Liste dieser ehrenamtlichen Hundertschaften ist auf der Homepage des Lesefestes nicht zu finden. Ein Hinweis auch nicht.
Nicht schlimm. Aber ein wenig mehr Stil würde mir persönlich Freude machen.
Immerhin geht es um Literatur ...
Carsten Reinhold Schulz
„Der Künstler als Kritiker“